aboutsummaryrefslogtreecommitdiff
path: root/OEBPS/Text/33-mailand.html
diff options
context:
space:
mode:
authorPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2020-03-04 16:53:51 +0100
committerPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2020-03-04 16:53:51 +0100
commit4231a8f24da76d954d951e77a941b432399c2751 (patch)
tree623dd3478e31a1ecf03f39c8b98699d3c57d6ab7 /OEBPS/Text/33-mailand.html
downloadjohann-gottfried-seume-spaziergang-nach-syrakus-4231a8f24da76d954d951e77a941b432399c2751.tar.gz
johann-gottfried-seume-spaziergang-nach-syrakus-4231a8f24da76d954d951e77a941b432399c2751.tar.bz2
johann-gottfried-seume-spaziergang-nach-syrakus-4231a8f24da76d954d951e77a941b432399c2751.zip
initial commit
Diffstat (limited to 'OEBPS/Text/33-mailand.html')
-rw-r--r--OEBPS/Text/33-mailand.html861
1 files changed, 861 insertions, 0 deletions
diff --git a/OEBPS/Text/33-mailand.html b/OEBPS/Text/33-mailand.html
new file mode 100644
index 0000000..c81e18d
--- /dev/null
+++ b/OEBPS/Text/33-mailand.html
@@ -0,0 +1,861 @@
+<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?>
+<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN"
+ "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd">
+
+<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml">
+<head>
+ <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" />
+ <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" />
+ <title>Mailand</title>
+</head>
+<body>
+
+<!-- pb n="[384]" facs="#f0412"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Mailand">
+<div class="dateline"><span class="right">Mailand.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">V</span>on Rom hierher ging ich
+halb im Wagen, halb zu Fusse; im Wagen so weit ich musste,
+zu so weit ich konnte. Man hatte während meines Aufenthalts
+in Rom auf der Strasse von Florenz Kouriere geplündert,
+Soldaten erschossen und grosse Summen geraubt. Es wäre
+Tollkühnheit gewesen, allein zu wallfahrten, wenn man nicht
+geradezu ein Bettler war, und sich durch
+das <span class="italic">cantabit vacuus</span> sichern
+konnte. Ich fuhr also mit einer Gesellschaft nach Florenz.
+Von Ronciglione nach Viterbo gehts am See hinauf über den
+Ciminus. Auf dem Berge empfehle ich Dir die Aussicht rechts
+hinüber nach dem Soratte; sie ist herrlich. Man sieht
+hinüber nach Nepi und Civitacastellana, bis fast nach
+Otrikoli, und weiter hin in die noch beschneyten Apenninen.
+Die Nebelwölkchen kräuselten sich herrlich und bezeichneten
+den Lauf der Tiber. Trotz der gedrohten Gefahr konnte ich
+doch nicht im Wagen bleiben, und trollte meistens zu Fusse
+voraus und hinterher. Nicht weit von Viterbo begegnete uns
+eine Gesellschaft, die nach aller Beschreibung, die ich
+schon in Rom von ihnen hatte, eine Karavane deutscher
+Künstler war, welche von Paris nach Rom gingen. Der Wagen
+fuhr eben bergab sehr schnell, und ich konnte mich nicht
+erkundigen.</p>
+
+<p>Du kannst denken, dass ich auf Thümmels Empfehlung in
+Montefiaskone den Estest nicht vergass. Er ist für mich der
+erste Wein der Erde; und doch hatte ich nicht bischöfliches
+Blut: zwey Flaschen trank
+<!-- pb n="385 " facs="#f0413"/ --> ich den Manen unsers
+Landsmannes. Ich brauchte mich nicht hinein zu bemühen in
+die Stadt, deren Anblick auch sehr wenig einladendes hatte:
+der Wirth erzählte unaufgefordert die Geschichte des seligen
+Herrn, und machte mir mit der Landsmannschaft ein
+Kompliment. Es war gut, dass ich nicht hier bleiben konnte;
+ich glaube, ich wäre Küster bey dem Bischofe geworden. Aus
+dem Munde des Wirths lautete die
+Grabschrift: <span class="italic">Est est
+est</span>, <span class="italic">et propter nimium est
+dominus Fuggerus spanc mortuus est</span>. Ob nun der Herr
+Bischof, der sich hier an dem herrlichen Wein in die selige
+Ewigkeit hinüber trank, wirklich aus unserm edeln Geschlecht
+dieses Namens war, das überlasse ich den geistlichen
+Diplomatikern. Ich lief rüstig vor dem Wagen her, nach
+Bolsena zu, am See hin nach Sankt Lorenz, dem Lieblingsorte
+Pius des Sechsten. Die ganze Gegend um Bolsena ist
+romantisch. Dass unten Altlorenzo so ausserordentlich
+ungesund seyn soll, kann ich nicht begreifen. Daran scheint
+nur die Indolenz der Einwohner Schuld zu seyn.</p>
+
+<p>Als eine Neuigkeit des Tages erzählte man hier die
+Geschichte von einem Komplott in Neapel. Murat, den ich
+selbst noch in Neapel gesehen habe, soll die Rädelsführer
+durch seine Versprechungen zur Entdeckung der ganzen
+Unternehmung sehr fein überredet und sodann die ganze Liste
+dem Minister überreicht haben. Weiss der Himmel wie viel
+daran ist! Ganz ohne Grund ist das Gerücht nicht. Denn schon
+in Rom wurde davon gesprochen, und der König von Sardinien
+war aus Kaserta daselbst angelangt, wie man laut sagte aus
+Furcht vor Unruhen in Neapel, und
+<!-- pb n="386 " facs="#f0414"/ --> wohnte im Pallast
+Kolonna. Die neapolitanische Regierung hatte dabey in ihrem
+Ingrimm ihre gewöhnliche alte unüberlegte Strenge gebraucht.
+In Montefiaskone traf ich einen Franzosen, der zwey und
+zwanzig Jahre in Livorno gehandelt hatte und ein gewaltiger
+Royalist war. Ich wollte schon vor zwölf Jahren zurück
+gehen, sagte er mir, aber mein Vaterland ist diese ganze
+Zeit über eine Mördergrube und ein verfluchtes Land gewesen.
+Die Republikaner und Demokraten sind alle Bösewichter. Nun,
+da Bonaparte wieder König ist, werde ich nach Hause gehen
+und mein Alter in Ruhe geniessen. Der Mann sagte dieses
+alles mit den nehmlichen Worten; ich bin nur
+Uebersetzer.</p>
+
+<p>Aquapendente an dem Flusse macht eine schöne Parthie und
+ist für den Kirchenstaat eine nicht unbeträchtliche Stadt.
+Was das für eine närrische Benennung der Oerter ist, sagte
+ein Engländer, Aquapendente und Montefiaskone; es muss
+heissen Montependente und Aquafiaskone. Vor Radikofani an
+der Gränze bey Torricelli hatte man auch den Kourier
+geplündert, und ein toskanischer Dragoner war dabey
+umgekommen. Siena ist ziemlich leer. Der heilige Geruch des
+Erzbischofs benahm mir alle Lust nur aus dem Wirthshause zu
+gehen. Er ist der nehmliche Herr, der zur Zeit Josephs des
+Zweyten päbstlicher Legat in den Niederlanden war, und
+daselbst allem Guten sehr thätig widerstrebte. Neuerlich in
+der Revolution, hat er sich durch seine heroische Unvernunft
+ausgezeichnet. Die Juden mochten bey Ankunft der Franzosen
+den Glauben gewonnen haben, dass sie
+<!-- pb n="387 " facs="#f0415"/ --> auch Menschen seyn, und
+sich also bürgerlich einige Menschlichkeiten erlaubt haben.
+Nach Abzug der Franken hielt der christgläubige Pöbel zu
+Siena im Sturm über die verruchten Israeliten Volksgericht
+und führte dreyzehn der Elenden lebendig zum Scheiterhaufen.
+Einige muthige vernünftige Männer baten den Erzbischof sein
+Ansehn zu interponieren, damit die Abscheulichkeit nicht
+ausgeführt würde. Die Energie des Glaubens weigerte sich
+standhaft gegen die Zumuthungen der Menschlichkeit, und die
+Unglücklichen wurden zum frommen Schauspiel der Christenheit
+lebendig gebraten. Als die Volksexekution nach Hause zog,
+gab der geistliche Vater den Kindern mit Wohlgefallen seinen
+Segen. Doch dieses ist in Italien noch Humanität.</p>
+
+<p>Von Siena nach Florenz ist ein schöner herrlicher Weg;
+und so wie man Florenz näher kommt wird die Kultur immer
+besser und endlich vortrefflich. Von Monte Cassiano, dem
+letzten Ort vor Florenz, ist die schönste Abwechselung von
+Berg und Thal bis in die Hauptstadt. Was Leopold für Toskana
+gethan hat, wird nun eilig alles wieder zerstört, und die
+Mönche fangen hier ihr Regiment eben so wieder an wie in
+Rom. Der allgemeine grosse Wohlstand, der durch die
+östreichische hier sehr liberale Regierung erzeugt worden
+war, wird indess nicht sogleich vertilgt. Hier sind Segen
+und Fleiss zusammen. Der neue König wird nicht geachtet;
+jedermann sieht ihn als nicht existierend an: bloss der
+römische Hof gewinnt durch seine Schwachheit Stärke. Dieser
+Leopold, sagt der Nuntius, hat vieles gethan als ein
+ungehorsamer Sohn,
+<!-- pb n="388 " facs="#f0416"/ --> das durch den Willen des
+heiligen Vaters und das Ansehen der
+Kirche <span class="italic">ipso jure</span> null ist. Du
+kannst denken, wie stark man sich am Vatikan fühlen und wie
+schwach man die am Arno halten muss, dass man eine solche
+Sprache wagt. Aber sie wissen, dass sie mit dem Herrn in
+Paris zusammen gehen; das erklärt und rechtfertigt
+vielleicht ihre Kühnheit. Die grösste Anzahl seufzt hier
+nach der alten Regierung; Neuerungssüchtige hoffen auf
+Verbindung mit den Herren jenseit des Berges, oder gar mit
+den Franzosen; die jezzige Regierung hat den kleinsten
+Anhang. Der König ist nicht gemacht ihn zu vergrössern: das
+hat man sehr wohl gewusst, sonst hätte man ihn nicht zum
+Schattenspiel brauchen können. In der Stadt läuft die
+Anekdote sehr laut herum, dass er in seinem Privattheater
+den Balordo vortrefflich macht, und niemand wundert sich
+darüber.</p>
+
+<p>Es wurde hier von Meyers Nachrichten von Bonapartes
+Privatleben gesprochen; und Leclerk, der ihn doch wohl etwas
+näher kennen muss, soll darüber ganz eigene Berichtigungen
+gemacht haben. Die Feinheit der Kardinäle zeigte sich
+vorzüglich in der Papstwahl. Pius der Siebente war als
+Bischof von Imola Bonapartes Gastfreund gewesen: auf diesen
+Umstand und den individuellen Charakter des korsischen
+Franzosen liess sich schon etwas bauen. Du siehst es ist
+gegangen. In Imola kann man gut Maskerade spielen. Der Papst
+und seine Gesellen vergessen das Gebot des heiligen Anchises
+noch nicht, das er seinem frommen Sohne beym Abschied aus
+der Hölle gab; und wo Ein Mittel nicht hilft, hilft das
+andere. In
+<!-- pb n="389 " facs="#f0417"/ --> eine eigene Verlegenheit
+kamen indessen die Herren mit der Madonna von Loretto,
+welche bekanntlich die Franzosen mit sich genommen hatten.
+Ein Mönch kommt nach ihrer Entfernung und sagt: Das habe ich
+gefürchtet, dass sie das heilige Wunderbild wegführen
+würden; desswegen habe ichs verborgen und ein anderes dafür
+hingestellt: hier ist das ächte. Dieses wird nun den
+Gläubigen zur Verehrung hingesetzt, ohne dass man in Rom
+sogleich etwas davon erfährt. &mdash; Ich habe es in Loretto
+selbst gesehen, mich aber um die Aechtheit des einen und des
+andern wenig bekümmert. &mdash; Nun unterhandelt man in Rom
+über das Pariser und die Franzosen schicken es mit Reue
+zurück. Es kommt in Rom an, wo es noch stehen soll. Nun
+fragt sich, welches ist das ächte? Eins ist so schlecht wie
+das andere, und beyde thun natürlich Wunder in die
+Wette.</p>
+
+<p>Von den hiesigen Merkwürdigkeiten ist das beste in
+Palermo; die Mediceerin, die Familie der Niobe und die
+besten Bilder; doch hat die Gallerie immer noch sehr
+interessante Sachen, vorzüglich für die Deutschen. Mit der
+Mediceischen Venus ist es mir sonderbar genug gegangen. Ich
+wünschte vorzüglich auf meiner Pilgerschaft auch dieses
+Wunderbild zu sehen, und es ist mir nicht gelungen. In
+Palermo habe ich mit Sterzinger in dem nehmlichen Hause
+gegessen, wo oben die Schätze unter Schloss und Siegel und
+Wache standen. Sie waren durchaus nicht zu sehen. Der
+Inspektor von Florenz, der mit in Palermo war, hatte
+Hoffnung gemacht, ehe alles wieder zurückginge, würde er die
+Stücke zeigen. In Rom und Neapel
+<!-- pb n="390 " facs="#f0418"/ --> wusste man öffentlich
+gar nicht recht, wo sie waren: denn man hatte absichtlich
+ausgesprengt, das Schiff, welches alles von Livorno nach
+Portici und weiter nach Palermo schaffen sollte, sey zu
+Grunde gegangen, um die Aufmerksamkeit der Franzosen
+abzuziehen. Es steht aber zu befürchten, sie werden eine
+gute Nase haben und sich die Dame mit ihrer Gesellschaft
+nachholen. So viel ich Abgüsse davon gesehen habe, keiner
+hat mich befriediget. Sie ist, nach meiner Meinung, wohl
+keine himmlische Venus, sondern ein gewöhnliches
+Menschenwesen, das die Begierden vielleicht mehr reitzen als
+beschwichtigen kann. Mir kommt es vor, ein Künstler hat
+seine schöne Geliebte zu einer Anadyomene gemacht; das Werk
+ist ihm ungewöhnlich gelungen: das ist das Ganze. Ueber die
+Stellung sind alle Künstler, welche Erfahrung haben, einig,
+dass es die gewöhnlichste ist, in welche sich die
+Weiblichkeit setzt, sobald das letzte Stückchen Gewand
+fällt, ohne je etwas von der Kunst gehört zu haben. Ich
+selbst hatte einst ein eigenes ganz naives Beyspiel davon,
+das ich Dir ganz schlicht erzählen will. Der Russische
+Hauptmann Graf Dessessarts &mdash; Gott tröste seine Seele,
+er ist wie ich höre an dem Versuche in Quiberon gestorben,
+den ich ihm nicht gerathen habe &mdash; er und ich, wir
+gingen einst in Warschau in ein Bad an der Weichsel. Dort
+fanden sich, wie es zu gehen pflegt, gefällige Mädchen ein,
+und eine junge allerliebste niedliche Sünderin von ungefähr
+sechzehn Jahren brachte uns den Thee, um wahrscheinlich auch
+gelegenheitlich zu sehen ob Geschäfte zu machen wären. Wir
+waren beyde etwas
+<!-- pb n="391 " facs="#f0419"/ --> zu ernsthaft. Das arme
+artige Geschöpfchen dauert mich, sagte der Graf; aber der
+Franzose konnte doch seinen Charakter nicht ganz
+verläugnen. <span class="italic">Je voudrais pourtant la
+voir toute entiere</span>, sagte er, und machte ihr den
+Vorschlag und bot viel dafür. Das Mädchen war verlegen und
+bekannte, dass sie für einen Dukaten in der letzten Instanz
+gefällig seyn würde; aber zur Schau wollte sie sich nicht
+verstehen. Mein Kamerad verstand seine Logik, brachte mit
+feiner Schmeicheley ihre Eitelkeit ins Spiel, und sie gab
+endlich für die doppelte Summe mit einigem Widerwillen ihr
+Modell. Sobald die letzte Falte fiel, warf sie sich in die
+nehmliche Stellung. <span class="italic">Voilà la coquine de
+Medicis</span>! sagte der Graf. Es war ein gemeines
+pohlnisches Mädchen mit den Geschenken der Natur, die für
+ihren Hetärensold sich etwas reitzend gekleidet hatte; eine
+Wissenschaft, in der die Pohlinnen vielleicht den
+Pariserinnen noch Unterricht geben könnten. Allemal ist mir
+bey einem Bild der Aphrodite Medicis die Pohlin eingefallen
+und meine Konjunktur kam zurück; und mancher Künstler war
+nicht übel Willens meiner Meinung beyzutreten. Urania könnte
+in der Glorie ihrer hohen siegenden Unschuld keinen Gedanken
+an diese Kleinigkeit haben, die nur ein Satyr bemerken
+könnte. Ihr Postament war jetzt hier leer.</p>
+
+<p>Es ist vielleicht doch auch jetzt noch keine unnütze
+Frage, ob Moralität und reiner Geschmack nicht leidet durch
+die Aufstellung des ganz Nackten an öffentlichen Orten. Der
+Künstler mag es zu seiner Vollendung brauchen, muss es
+brauchen: aber mich däucht, dass Sokrates sodann seine
+Grazien mit Recht
+<!-- pb n="392 " facs="#f0420"/ --> bekleidete. Kabinette
+und Museen sind in dieser Rücksicht keine öffentlichen Orte;
+denn es geht nur hin wer Beruf hat und wer sich schon etwas
+über das Gewöhnliche hebt. Sonst bin ich dem Nakten in
+Gärten und auf Spaziergängen eben nicht hold, ob mir gleich
+die Feigenblätter noch weniger gefallen. Empörend aber ist
+es für Geschmack und Feinheit des Gefühls, wenn man in
+unserm Vaterlande in der schönsten Gegend das hässlichste
+Bild der Aphrodite Pandemos mit den hässlichsten Attributen
+zuweilen aufgestellt sieht. Das heisst die Sittenlosigkeit
+auf der Strasse predigen; und bloss ein tiefes Gefühl für
+Freyheit und Gerechtigkeit hat mich gehindert, die
+schändlichen Missgeburten zu zertrümmern oder in die Tiefe
+des Flusses zu stürzen.</p>
+
+<p>Auf der Ambrosischen Bibliothek zu studieren hatte ich
+nicht Zeit. Die Philologen müssen in die Bibliothek der
+Grafen Riccardi gehen, wo sie für ihr Fach die besten
+Schätze finden. Mir war es jetzt wichtiger in der Kirche
+Santa Croce die Monumente einiger grossen Männer
+aufzusuchen, die sich zu Bürgern des ganzen
+Menschengeschlechts gemacht haben. Rechts ist vorn das
+Grabmal Bonarottis, und weiter hinunter auf der nehmlichen
+Seite Machiavellis, und links der Denkstein Galileis. Es
+verwahrt wohl kaum ein Plätzchen der Erde die Asche so
+vortrefflicher Männer nahe beysammen.</p>
+
+<p>Für den Antiquar und den Gelehrten ist von unserer Nation
+jezt in Florenz noch ein wichtiger Mann, der preussische
+Geheime Rath Baron von Schellersheim, ein Mann von offenem
+rechtlichen Charakter
+<!-- pb n="393 " facs="#f0421"/ --> und vielen feinen
+Kenntnissen, dem sein Vermögen erlaubt, seiner Neigung für
+Kunst und Wissenschaft mehr zu opfern als ein anderer. Er
+besitzt vielleicht mehr antike Schätze, als irgend ein
+anderer Privatmann. Was ich bey ihm gesehen habe, war
+vorzüglich, eine komplette alte römische Toilette von
+Silber; ein grosses altes silbernes ziemlich kubisches
+Gefäss, welches ein Hochzeitgeschenk gewesen zu seyn und
+Hochzeitgeschenke enthalten zu haben scheint. Auf den vier
+Seiten sind von der ersten Bewerbung bis zur
+Nachhauseführung die Scenen der römischen Hochzeitgebräuche
+abgebildet. Dieses ist vielleicht das grösste silberne
+Monument der alten Kunst, das man noch hat. Ferner hat er
+vier silberne Sinnbilder der vier Hauptstädte des römischen
+Reichs, Rom, Byzanz, Antiochia und Alexandria, welche die
+Konsuln oder vielleicht auch die andern kurrulischen
+Magistraturen an den Enden der Stangen ihrer Tragsessel
+führten. Diese scheinen etwas neuer zu seyn. Weiter besitzt
+er einige alte komplette silberne Pferdegeschirre, mit
+Stirnstücken und Bruststücken. Aber das Wichtigste sind
+seine geschnittenen Steine, unter welchen sich mehrere von
+seltenem Werth finden, und seine römischen Goldmünzen;
+mehrere konsularische von Pompejus an, und fast die ganze
+Folge der Kaisermünzen, von Julius Cäsar bis Augustulus.
+Hier fehlen nur wenige wichtige Stücke. Du siehst dass
+dieses eine Liebhaberey nicht für jedermann ist. Ich
+schreibe Dir dieses etwas umständlicher, weil es Dich
+vielleicht interessiert und Du es noch nicht in Büchern
+findest: denn seine Sammlung ist noch nicht alt.</p>
+
+<!-- pb n="394 " facs="#f0422"/ -->
+<p>Die schönen Gegenden um Florenz zwischen den Bergen an
+dem Flusse auf und ab sind bekannt genug, und Du erwartest
+gewiss nicht, dass ich als Spaziergänger Dir alle die andern
+Merkwürdigkeiten aufführe. Das hiesige Militär kam mir
+traurig vor; schöne Leute, aber ohne Wendung und
+Geschicklichkeit. Zum Abschied sahe ich den Morgen noch die
+Amalfischen Pandekten; und die Franzosen haben sich etwas
+bey mir in Kredit gesetzt, dass sie diesen Kodex nicht
+genommen haben; und gegen Abend wohnte ich auf dem alten
+Schlosse einer Akademie der Georgophilen bey. Hier hielt man
+eine Vorlesung über die vortheilhafteste Mischung der
+Erdarten zur besten Vegetation, und sodann las einer der
+Herren eine Einleitung zu einem chemisch physischen System.
+Zum Ende zeigte man einige seltene neue Naturprodukte. Neben
+meinem Zimmer im Bären wohnte eine französische Familie, nur
+durch eine dünne Wand getrennt; diese betete den Abend über
+eine ganze Stunde ununterbrochen so inbrünstig und laut,
+dass mir über der Andacht bange ward. Seit Ostern ist, wie
+ich höre, überall das Religionswesen wieder Mode; und in
+Frankreich scheint alles durchaus nur als Mode behandelt zu
+werden.</p>
+
+<p>Nach Bologna hatte ich mich über den Berg wieder an einen
+Vetturino verdungen und fand im Wagen einen französischen
+Chirurgus, der von der Armee aus Unteritalien kam, und eine
+italiänische Dame mit ihrem kleinen Sohn auf dem Schosse;
+und endlich kam noch ein Schweizerischer Kriegskommissär mit
+einem furchtbar grossen Säbel, der in Handelsgeschäf<!-- pb n="395 " facs="#f0423"/ -->ten
+seines Hauses gereist war. Die Dame, eine Frau von
+Rosenthal, deren Mann östreichischer Offizier war, ging ganz
+allein mit ihrem Kinde, einem schönen sehr lieblichen Knaben
+von ungefähr anderthalb Jahr, nach Venedig, um dort ihren
+Mann zu erwarten, der in Livorno und anderwärts noch
+Dienstgeschäfte hatte. Da der Junge ein überkomplettes
+Persönchen im Wagen und doch so allerliebst war, machte er
+die Ronde von der Mutter zu uns allen. Die Gesellschaft
+lachte über meine grämliche Personalität mit dem Kleinen auf
+dem Arm, und ich kam mir wirklich selbst vor wie der Silen
+im Kabinett Borghese mit dem jungen Bacchus. Die Leutchen
+mussten das nehmliche meinen; denn die Gruppierung fand
+Beyfall und der Junge war gern bey mir.</p>
+
+<p>Der Berg von Florenz aus ist ein wahrer Garten bis fast
+auf die grösste Höhe. Du kannst denken, dass ich viel zu
+Fusse ging; der Franzose leistete mir dann zuweilen
+Gesellschaft. Der Schweizer mit dem grosen Säbel kam selten
+aus dem Wagen. Etwas unheimisch machen es oben auf dem
+Bergrücken die vielen Kreuze, welche bedeuten, dass man hier
+jemand todt geschlagen hat, weil man gewöhnlich auf die
+Gräber Kreuze setzt. Die Römer sind in diesem Falle etwas
+weniger fromm und politischer, und setzen nichts darauf;
+denn sonst würde der ganze Weg bey ihnen eine Allee von
+Kreuzen seyn. Ich muss Dir bekennen, dass ich von dem Kreuze
+gar nicht viel halte. Warum nimmt man nicht etwas besseres
+aus der Bibel? Das Emblem scheint von der geistlichen und
+weltlichen Despotie in Gemeinschaft erfunden zu seyn, um
+<!-- pb n="396 " facs="#f0424"/ --> alles kühne Emporstteben
+der Menschennatur zur knechtischen Geduld nieder zu drücken,
+und diese subalterne Tugend zur höchsten Vollkommenheit der
+Moral zu erheben. Wozu braucht man Gerechtigkeit, Grossmuth
+und Standhaftigkeit? Man predigt Geduld und Demuth. Demuth
+ist nach der Etymologie Muth zu dienen, und die
+zweydeutigste aller Tugenden. In der alten
+griechischen <!-- choice><sic -->uud<!-- /sic><corr>und</corr></choice -->
+römischen Moral findet man diese Tugend nicht; und die
+Einführung ist kein Vorzug der christlichen. Sie kann nur im
+Evangelium der Despoten stehen, welche sie aber für sich
+selbst doch sehr entbehrlich finden. Es ist freylich auch
+philosophisch besser, Unrecht leiden als Unrecht thun; aber
+es giebt ein Drittes, das vernünftiger und edler ist als
+beydes: mit Muth und Kraft verhindern, dass durchaus kein
+Unrecht geschehe. In unserm lieben Vaterlande hat man das
+Kreuz zwar meistens weggenommen, aber dafür den Galgen
+hingesetzt. So schlecht auch dieser ist, kommt er mir doch
+noch etwas besser vor. Christus hat gewiss seiner Religion
+keinen so jämmerlichen Anstrich geben wollen, als sie
+nachher durch ihre unglücklichen Bonzen bekommen hat.
+Freylich, wenn man den Gekreuzigten nicht an allen Feldwegen
+zeigte, könnte es doch wohl der Menge einfallen, ihre
+Urbefugnisse etwas näher zu untersuchen und zu finden, dass
+keine Konsequenz darin ist, sich durch den Druck des
+Feudalsystems und das Privilegienwesen kreuzigen zu lassen.
+Berechnet ist es ziemlich gut, wenn es nur gut wäre.</p>
+
+<p>Bey Pietramala sahe ich oben den zweydeutigen Vulkan
+nicht, weil er zu weit rechts hinüber in den
+<!-- pb n="397 " facs="#f0425"/ --> Felsen lag und der Wagen
+nicht anhalten wollte. Nun hatten wir von den Oelbäumen
+Abschied genommen; auf dieser Seite des Apennins sind sie
+nicht mehr zu finden. Auf der Südseite sind Oelbäume, auf
+der Nordseite nach Bologna herüber Kastanien. Man kommt nun
+wieder dem lieben Vaterlande näher; alles gewinnt diesseit
+des Bergs schon eine etwas mehr nördliche Gestalt. Mein
+alter gelehrter Cicerone in Bologna hatte eine grosse Freude
+mich glücklich wieder zu sehen; und ich lief mit ihm so viel
+herum, als man in zwey Tagen laufen konnte. Aber der
+Schweizer Kriegskommissär führte mich mehr in die
+Kaffeehäuser als in die Museen. Ein pohlnischer Hauptmann
+von der Legion, der, wie ich in Mailand fand, sich selbst
+einige Grade avanciert und hier geheirathet hatte, schloss
+sich geflissentlich an uns an und freute sich mit Deutschen
+deutsch zu plaudern: denn er war lange kaiserlicher
+Unteroffizier gewesen. Der Mensch sagte, er sey in seinem
+Leben kein Republikaner gewesen, das liess sich von einem
+pohlnischen Edelmann sehr leicht denken, und er sey nun
+froh, dass die H&mdash;e von Freyheit nach und nach wieder
+abgeschaft werde. Man hatte eben das Wappen über dem
+Generalzollhause geändert, und anstatt der Freyheit die
+Gerechtigkeit hingesetzt; welches eigentlich eins ist. Die
+wahre Freyheit ist nichts anders als Gerechtigkeit: nur
+behüte uns der Himmel vor Freyheiten und Gerechtigkeiten.
+Sodann erhob er die Tapferkeit und die Kriegszucht der
+Pohlen, von der ich selbst Beweise hatte, und an welcher ich
+also nicht zweifelte.</p>
+
+<p>Von allen Merkwürdigkeiten, die ich in Bologna
+<!-- pb n="398 " facs="#f0426"/ --> noch zu sehen genöthigt
+war, will ich Dir nur die Galerie Sampieri erwähnen. Sie ist
+nicht gross, aber köstlich. Die Plafonds sind von den drey
+Caracci, Hannibal, Ludwig und August, und könnten mit Ehren
+in Rom unter den besten stehen. Das schönste Stück der
+Sammlung, und nach einigen die beste Arbeit von Guido Reni,
+ist der reuige Petrus. Die Kunst mag allerdings dieses
+Urtheil der Kenner rechtfertigen; aber mich hat weit mehr
+beschäftigt die Hagar von Guercino. Dieser Künstler hat den
+Mythus gefasst, wie Rechtlichkeit und Humanität es fordern,
+nicht wie die leichtgläubige Frömmigkeit ihn herbetet. Hagar
+ist ein schönes herrliches Ehrfurcht gebietendes Weib, das
+in dem Gefühl seines Werths da steht; der Vater der
+Gläubigen ist ein jämmerlicher Sünder unter dem Scepter
+seiner Ehehälfre, und diese kann halb versteckt ihre kleine
+boshafte neidische Seele kaum verbergen. Nur dem Knaben
+Ismael wäre vielleicht jetzt schon etwas mehr von dem kühnen
+Trotze zu wünschen, der ihn in der Folge so vortheilhaft
+auszeichnet. Es kann mit der Volksbildung nicht wohl weiter
+gedeihen, so lange man noch dieses Buch als göttliche Norm
+der Moral aufdringt und jedes Jota desselben mit
+Theopnevstie stempelt. Es enthält so vielen schiefen Sinn,
+so viele Unsittlichkeiten in Beyspielen und Vorschriften,
+dass ich oft mit vieler Ueberlegung zu sagen pflege, der
+Himmel möge mich vor Davids Frömmigkeit und Salomons
+Weisheit behüten. Man windet sich hierüber eben so schlecht,
+wie bey der Vergebung der Sünden. Wenn man das Ganze als ein
+Gewebe menschlicher Thorheiten und
+<!-- pb n="399 " facs="#f0427"/ --> Tugenden, als einen
+Kampf der erwachenden Vernunft mit den despotischen und
+hierarchischen Kniffen nähme, so wäre das Gamälde
+unterhaltend genug, und als das älteste Dokument der
+Menschenkunde heilig: aber wozu dieses dem Volke, das davon
+nichts brauchen kann? Das Papstthum hat vielleicht keinen
+glücklichern Einfall gehabt, als dem Volke dieses Buch zu
+entziehen; wenn man ihm nur etwas reineres und besseres
+dafür gegeben hätte. Die Legenden der Heiligen aber und die
+Ausgeburten des Aberglaubens aus dem Mittelalter sind
+freylich noch viel schlimmer. Was den ersten heiligsten
+Geboten der Vernunft widerspricht, das kann kein heiliger
+Geist als Wahrheit stempeln.</p>
+
+<p>Von Bologna aus nahm ich meinen Tornister wieder auf die
+Schulter und pilgerte durch die grosse schöne Ebene herüber
+nach Mailand. In Modena gefiel mirs sehr wohl, ohne dass ich
+den erbeuteten Eimer sah. Die Stadt ist reinlich und
+lebendig und lachend; die Wirthshäuser Kaffeehäuser, sind
+gut und billig. Ein ganzes Dutzend Tambours schlugen den
+Zapfenstreich durch die ganze Stadt, ohne dass ein einziges
+Bajonett dabey gewesen wäre. In der neuen Republik ist man
+wenigstens überall sicher; die Polizey ist ordentlich und
+wachsam, und alles bekommt ein rechtliches Ansehen. Masena,
+der hier kommandierte, ergriff eine herrliche Methode
+Sicherheit zu schaffen. Einige Schweizer Kaufleute waren in
+der Gegend geplündert worden; der General liess sie
+arretieren und die Sache strenge untersuchen; die Angabe war
+richtig. Nun wurden die Gemeinheiten, in deren
+<!-- pb n="400 " facs="#f0428"/ -->
+Bezirke die Schurkerey geschehen war, gezwungen
+das Geld zu ersetzen, und man liess die Fremden ziehen. Ich finde darin,
+wenn es durchaus mit Strenge und Genauigkeit geschieht,
+keine Ungerechtigkeit.</p>
+
+<p>In Reggio lag ein Pohlnisches Bataillon, und ein
+Unteroffizier desselben, der am Thore die Wache hatte und
+ein Anspacher war, freute sich höchlich wieder einen
+preussischen Pass zu sehen, den ich mir von dem preussischen
+Residenten in Rom hatte geben lassen, weil ich ihn mit Recht
+zu meiner Absicht für den besten hielt.</p>
+
+<p>Nun wollte ich den Abend in Parma bleiben und einen oder
+zwey Tage dort ausruhen und Bodoni sehen, an den ich Briefe
+von Rom hatte. Aber höre, wie schnurrig ich um das Vergnügen
+gebracht wurde. Am Thore wurde ich den achten Juny mit
+vieler Aengstlichkeit examiniert und sodann mit einem
+Gefreyten nach der Hauptwache geschickt. Ich kannte die
+Bocksbeuteley, ob sie mir gleich hier zum ersten Mal
+begegnete. Unterwegs freuete ich mich über die
+gutaussehenden Kaffeehäuser und sass schon im Geist bey
+einer Schale Eis: denn ich hatte einen warmen Marsch gehabt.
+Die Parmesaner sassen gemüthlich dort und schienen viel
+Bonhommie zu präsentieren; nur hier und da zeigte sich ein
+breites aufgedunsenes Gesicht, wie ihr Käse. Auf der
+Hauptwache las der Offizier meinen Pass, rief einen andern
+Gefreyten und befahl ihm mit mir zu gehen. Ich glaubte, ich
+sollte zu dem Kommandanten gebracht werden, und hoffte schon
+auf eine ähnliche Bewirthung, wie in Augusta in Sicilien.
+Aber der Zug dauerte mir sehr lan<!-- pb n="401 " facs="#f0429"/ -->ge;
+ich fragte und erfuhr, ich müsste zum Thore hinaus, ich
+dürfte nicht in der Stadt wohnen. Es war mir gleich aufs
+Herz gefallen, als ich auf dem Markte die Grenadiere so
+entsetzlich schön gepudert sah. Die Kerle trugen hinten
+Merletons, so gross wie das Kattegat. Ich foderte, man
+sollte mich zum Kommandanten
+bringen. <span class="italic">Ma</span>, <span class="italic">mio
+caro</span>, <span class="italic">non posso mica</span>;
+sagte er. Ich drang
+darauf. <span class="italic">Ma</span>, <span class="italic">mio
+caro</span>, <span class="italic">non
+sa</span><span class="italic">pete il
+servizio</span>; <span class="italic">questo</span>, <span class="italic">non
+posso mica</span>. Ich alter Kriegsknecht musste mir die
+Sottise gefallen lassen. Warum hatte ich mich vergessen? Der
+Mensch hatte Recht. Wir kamen ans Thor und ich fragte den
+Offizier, indem ich ihm meinen Pass wies, ob das eine humane
+Art wäre, einen ehrlichen Mann zu behandeln. Er sah mich an,
+sagte mir höfliche Worte und berief sich auf Befehl. Ich
+verlangte noch einmal zum Kommandanten gebracht zu werden;
+ich wollte hier bleiben, ich hätte Geschäfte. Er zuckte die
+Schultern; ein alter Sergeant, der ein etwas liberaleres
+Antlitz hatte, meinte, man könnte mich doch hinschicken; der
+Offizier war
+unschlüssig: <span class="italic">Ma</span>, <span class="italic">mio
+caro</span>,
+<span class="italic">non possiamo mica</span>, sagte der
+Gefreyte von der Hauptwache, der noch dabey stand. Der
+Offizier sagte mir, er könne mir jetzt nicht helfen, ich
+könne morgen wieder herein kommen und dann thun was ich
+wolle. Jetzt ging ich trotzig den Weg zum Thore hinaus. Der
+Gefreyte hätte keine bessere Charakteristik von Parma und
+den Parmesanern geben
+können: <span class="italic">Ma</span>, <span class="italic">mio
+caro</span>, <span class="italic">non possono mica</span>.
+Aergerlich und halb lachend ging ich in ein Wirthshaus eine
+gute Strecke vor dem Thore. Das nenne ich mir eine
+aufmerksame besorg<!-- pb n="402 " facs="#f0430"/ -->liche
+Polizey. Ich hatte in Reggio den Bart machen lassen, ein
+reines feines Hemd angezogen, mich geputzt und gebürstet.
+Ihre problematischen Landsleute zwischen Alikata und
+Terranuova, und ihre nicht problematischen Landsleute
+zwischen Gensano und Aricia hatten zwar bey ihrer braven
+Visitation einige Schismen in Rock und Weste gebracht; aber
+dessen ungeachtet hatte man noch in Bologna in guter
+Gesellschaft meinen Aufzug für sehr honorig erklärt. Ich zog
+einige Mal meine goldene Uhr und erbot mich zehn Louisdor
+Kaution zu machen, und im Passe war ich stattlich mit Signor
+betitelt: nichts, man gestattete mir kein Quartier in der
+Stadt. Und nun denkst Du, dass ich den andern Morgen hinein
+ging und mich des fernern erkundigte? Das liess ich hübsch
+bleiben. Wenn ich im Himmel abgewiesen werde, komme ich
+nicht wieder: diese Ehre erhalten die Parmesaner nicht. Ich
+ass gut und schlief gut, und schlug den andern Morgen den
+Weg nach Piacenza ein. Man merkte, dass die Leute hier in
+Parma noch orthodox und nicht von der Ketzerey ihrer
+Nachbarn angesteckt sind; denn ich sah hier wieder viele
+Dolche und Schiessgewehre, wie bey den ächten Italiänern
+jenseits der Berge. Die Nachtigallen sangen so herrlich und
+so schmetternd, und ich wunderte mich, wie sie in der Nähe
+eines so konfiscierten Orts noch einen Ton anschlagen
+konnten. Aber sie schlugen fort und endlich vergass ich das
+Eis, den Käse, Bodoni und Mica, und wandelte auf den Po zu.
+Ich hatte in Rom ein herrliches Gemälde von dem Uebergange
+über den Fluss aus dem letzten Kriege gesehen: der Künstler
+<!-- pb n="403 " facs="#f0431"/ --> war hier gewesen und
+hatte nach der Natur gearbeitet und ein Meisterstück der
+Perspektive gemacht. Jetzt suchte ich mich zu orientieren.
+Der Ort ist sehr leer und öde, aber der Fluss macht schöne
+Parthien.</p>
+
+<p>In Lodi ass ich wohl ruhiger zu Mittage als Bonaparte,
+wenn ich mir gleich nicht so viel Ruhm erwarb, und konnte
+gemächlich den Posten besehen, wo man geschlagen hatte.
+Unter andern guten Sachen traf ich hier die schönsten
+Kirschen, die ich vielleicht je gegessen habe. Wenn gleich
+das alte Laus Pompeji nicht gerade hier lag, so ist doch
+wohl der Name daraus gemacht und der Ort daraus entstanden:
+wenigstens wird das hier auf einem Marmor am Rathhause
+behauptet. Die Männer von Lodi müssen ein sinnreiches
+Geschlecht seyn; das sahe man an ihren Schildern. Unter
+andern hatte ein Schuhmacher auf dem seinigen einen Genius,
+der sehr geistreich das Mass nahm.</p>
+
+<p>Hier in Mailand verlasse ich nun Hesperien ganz, und bin
+schon längst nicht mehr in dem Lande, wo die Ziteronen
+blühn. In Rom sagte man, dass das Erdbeben vorigen Monat den
+Dom von Mailand sehr beschädigt habe; es ist aber kein Stein
+herunter geworfen worden. Dieses gothische Gebäude streitet
+vielleicht mit dem Münster in Strassburg um den Vorzug, ob
+es gleich nicht vollendet ist, und es vielleicht auch nie
+werden wird. In der Kapitale der italischen Republik geht
+alles nach gallischen Gesetzen; und hier und dort, wie Du
+weisst, alles nach dem Willen des korsischen Avtokrators.
+Wenn es nur gut ginge, wäre vielleicht nicht viel dawider zu
+sagen. Man scheint
+<!-- pb n="404 " facs="#f0432"/ --> hier der goldenen
+Freyheit nicht durchaus ausserordentlich hold zu seyn. Einer
+meiner Bekannten begleitete mich etwas durch die Stadt und
+unter andern auch in die Kathedrale. Hinter der kunstreichen
+Krypte des heiligen Borromeus steht in einer Nische der
+geschundene heilige Bartholomeus, mit der Haut auf den
+Schultern hangend. Er gilt für eine grässlich schöne
+Anatomie. Der Italiäner stand und betrachtete ihn einige
+Minuten: das sin<span class="spaced">d</span> wir, sagte er
+endlich; die Augen hat man uns gelassen, damit wir unser
+Elend sehen können. Die Franzosen machen eine schöne Parade
+vor dem Pallast der Republik: nur wird es mir schwer, die
+allgewaltigen Sieger in ihnen zu erkennen, vor denen Europa
+gezittert hat. Das alte weitläufige Schloss vor der Stadt
+wird sehr verengt und vor demselben der Platz Bonaparte
+gemacht: jetzt ist dort noch alles wüste und leer.</p>
+
+<p>Vor allen Dingen besuchte ich noch das berühmte
+Abendmahlsgemälde von Leonardo da Vinci in dem Kloster der
+heiligen Maria. Das Kloster ist jetzt leer, und das
+Refektorium, wo das Gemälde an der Wand ist, war während der
+Revolution, wie man sagt, einige Zeit sogar ein Pferdestall.
+Das Stück ist einige Mal restauriert, Volpato hat es zuletzt
+gezeichnet und Morghen gestochen, und wahrscheinlich ist der
+Stich, der für ein Meisterstück der Kunst gilt, auch bey
+euch schon zu haben: Du magst ihn also sehen und urtheilen.
+Ich sah ihn in Rom zum ersten Mal. Auch in dem verfallenen
+Zustande ist mir das Original noch weit lieber als der
+Stich, so schön auch dieser ist. Volpato ist vielleicht
+etwas willkührlich bey
+<!-- pb n="405 " facs="#f0433"/ --> der Kopierung zu Werke
+gegangen, da das Stück dem gänzlichen Verfalle sehr nahe
+ist. Wir sind indessen dem Künstler Danck schuldig für die
+Rettung. Ich sage nichts von dem schönen Charakter der
+übrigen Jünger; mit vorzüglich feinem Urtheil hat der Maler
+den Säckelmeister Judas Ischariot behandelt, damit er die
+ehrwürdige Gesellschaft nicht durch zu grellen Kontrast
+schände. Auch der Geist des Mannes ist nicht verfehlt. Er
+sitzt da, wie ein kühner tiefsinniger mit sich selbst nicht
+ganz unzufriedener Finanzminister, der einen grossen Streich
+wagt: er rechnete für die Gesellschaft, nicht für sich. Auch
+psychologisch ist Ischariot noch kein Bösewicht; nur ein
+Unbesonnener. Ein Bösewicht hätte sich nicht getödtet. Er
+glaubte, der Prophet würde sich mit Ehre retten. Ich möchte
+freylich nicht Judas seyn und meinen Freund auf diese Weise
+in Gefahr setzen: aber eben vielleicht nur darum nicht,
+weil ich nicht so viel Glauben habe als er. &mdash; Jetzt
+muss man auf einer Leiter hinunter steigen in den Saal, der
+untere Eingang ist vermauert: und nun leidet das Stück durch
+feuchte dumpfe Luft vielleicht eben so sehr, als vorher
+durch andere üble Behandlung.</p>
+
+<p>Hier sah ich seit der heiligen Cecilie in Palermo wieder
+das erste Theater. In Neapel brachte mich Januar darum, weil
+acht Tage vor und acht Tage nach seinem Feste kein Theater
+geöffnet wird. Ohne Spiel wollte ich auch das Karlstheater
+nicht sehen. In Rom machten mir meine Freunde eine so
+schlimme Schilderung von dem dortigen Theaterwesen, dass ich
+gar nicht Lust bekam eins zu su<!-- pb n="406 " facs="#f0434"/ -->chen.
+Man sagt, das Haus sey hier eben so gross, als das grosse in
+Neapel. Der Gesang war nicht ausgezeichnet und für das
+grosse Haus zu schwach. Man erzählte mir hier eine Anekdote
+von der Strinasacchi, die jetzt in Paris ist. Ich gebe sie
+Dir, wie ich sie hörte: sie ist mir wahrscheinlich, weil uns
+etwas ähnliches mit ihr in Leipzig begegnete, nur dass weder
+unser Missfallen noch unser Enthusiasmus so weit ging als
+die italiänische Lebhaftigkeit. Die Natur hat ihr nicht die
+Annehmlichkeiten der Person auf dem Theater gegeben. Bey
+ihrer ersten Erscheinung erschrak hier das ganze Haus so
+sehr vor ihrer Gestalt und gerieth so in Unwillen, dass man
+sie durchaus nicht wollte singen lassen. Der Direktor musste
+erscheinen und es sich als eine grosse Gefälligkeit für sich
+selbst erbitten, dass man ihr nur eine einzige Scene
+erlaubte, dann möchte man verurtheilen, wenn man wollte. Die
+Wirkung war voraus zu sehen; man war beschämt und ging nun
+in einen rauschenden Enthusiasmus über: und nach Endigung
+des Stücks spannte man die Pferde vom Wagen und fuhr die
+Sängerin durch einen grossen Theil der Stadt nach Hause. Es
+wäre eine psychologisch nicht unwichtige Frage, das
+aufrichtige Bekenntniss der Weiber zu hören, ob sie das
+zweyte für das erste erkaufen wollten. Die Heldin selbst hat
+keine Stimme mehr über die Sache.</p>
+
+<p>Das Ballet war schottisch und sehr militärisch. Man
+arbeitete mit einer grossen Menge Gewehr und sogar mit
+Kanonen: und das Ganze machte sich auf dem grossen Raume
+sehr gut. Der Charaktertanz war aber mangelhaft, vorzüglich
+bei der Mutter. Man
+<!-- pb n="407 " facs="#f0435"/ --> hatte gute Springer,
+aber keine Tänzer; ein gewöhnlicher Fehler, wo das Ganze
+nicht mit Einer Seele arbeitet. Ich habe nie wieder so gute
+Pantomime gesehen als in Warschau aus der Schule des Königs
+Poniatowsky. An ihm ist ein grosser Balletmeister verloren
+gegangen und ein schlechter König gewonnen worden.</p>
+
+<p>In Rom hatte ich einige Höflichkeitsaufträge an den
+General Dombrowsky erhalten und er nahm mich mit vieler
+Freundlichkeit auf und lud mich mit nordischer Gastfreyheit
+auf die ganze Zeit meines Hierseyns an seinen Tisch. Hier
+fand ich mit ihm und andern von Pohlen aus Berührung. Ich
+hatte ihn einige Mal in Suworows Hauptquartiere gesehen; und
+er hatte von seinem ersten Dienst unser Vaterland Sachsen
+noch sehr lieb. Er ist einer von den heutigen Generalen, die
+die meiste Wissenschaft ihres Faches haben; und Du findest
+bey ihm Bücher und Charten, die Du vielleicht an vielen
+andern Orten vergebens suchst. Er ist ein sehr freyer
+strenger Beurtheiler militärischer Zeichnungen, fordert das
+Wesentliche und bekümmert sich nicht um zierliche
+Kleinigkeiten. Er hat eine schöne Sammlung guter
+Kupferstiche von den Köpfen grosser Männer; besonders ist
+darunter ein Gustav Adolph, der sehr alt und
+charakteristisch ist und auf den er viel hält. Eine Anekdote
+aus diesem nur geendigten Kriege wird Dir vielleicht nicht
+unangenehm seyn. Dombrowsky liebt Schillers dreyssigjährigen
+Krieg und trug ihn in seinen Feldzügen in der Tasche. Bey
+Novi schlug eine Kugel gerade auf den Ort, wo unten das Buch
+lag; und dadurch wurde ihm wahrscheinlich das Leben gerettet
+Ich habe das durchschlagene Exem<!-- pb n="408 " facs="#f0436"/ -->plar
+selbst in Rom gesehen, wo er es einem Freunde zum Andenken
+geschenkt hat, und die Erzählung aus dem eigenen Munde des
+Generals. Er sagte mir lachend, Schiller hat mich gerettet,
+aber er ist vielleicht auch Schuld an der Gefahr: denn die
+Kugel hat eine Unwahrheit heraus geschlagen. Es stand dort,
+die Pohlen haben in der Schlacht bey Lützen gefochten: das
+ist nicht wahr; es waren Kroaten. Die Pohlen haben nie für
+Geld geschlagen: selbst jetzt schlugen wir noch für unser
+Vaterland; ob es gleich nunmehr unwiederbringlich verloren
+ist. Das gab etwas Sichtung der vergangenen Politik. Ich
+meinte, es wäre voraus zu sehen gewesen, dass für Pohlen
+keine Rettung mehr war. Die Franzosen würden sich in ihrer
+noch kritischen Lage nicht der ganzen Wirkung der
+furchtbaren Tripleallianz bloss stellen, um ein Zwitterding
+von Republik wieder zu etablieren, an deren Existenz sie nun
+gar kein Interesse mehr hatten. Die Eifersucht zwischen den
+grossen mächtigen Nachbarn ist wahrscheinlich und ihnen
+vortheilhaft. Wenn die Pohlen noch unter einem einzigen
+Herrn wären, so liesse sich durch eben diese Eifersucht noch
+Rettung denken. Das schienen sie vorher selbst zu fühlen,
+und thaten, da die Katastrophe nun einmal herbey geführt
+war, hier und da etwas, um unter Einen Herrn zu kommen. Ich
+weiss selbst, dass ich als russischer Offizier in Posen vor
+der Hauptwache vor den preussischen Kanonen von einem
+Dutzend junger Pohlen belagert wurde, die mirs nahe ans Herz
+legten, dass doch die Kaiserin sie alle nehmen möchte; sie
+sollte ihnen nur einige Bataillone Hülfe schicken, so
+wollten
+<!-- pb n="409 " facs="#f0437"/ --> sie die Preussen
+zurückschlagen. Sie brachten eine Menge speciöse Gründe,
+warum sie lieber russische Unterthanen zu seyn wünschten;
+aber die wahren verbargen sie gewiss. Sie dachten
+unstreitig, bleiben wir beysammen, so können wir durch
+irgend eine Konjunktur bald wieder politische Existenz
+gewinnen. Der General fand die Schlussfolge ziemlich bündig,
+sagte aber, ein Patriot dürfe und müsse die letzte schwache
+Hoffnung für sein Vaterland versuchen. Das ist brav und
+edel.</p>
+
+<p>Die Pohlen haben hier noch ganz ihre alte Organisation
+und tragen ihre alten Abzeichen, so dass man die alten
+Offiziere noch für Sachsen halten könnte, Der Mangel im
+Kriege muss in Italien zuweilen hoch gestiegen seyn; denn es
+wurde erzählt, dass einmal die Portion des Soldaten auf acht
+Kastanien und vier Frösche reduciret gewesen sey. Die
+Zufriedenheit wird gegenseitig mit einer ganz eigenen Art
+militärisch drolliger Vertraulichkeit geäussert. So sagten
+die Franzosen von den Pohlen: <span class="italic">Ah ce
+sont de braves coquins</span>;
+<span class="italic">ils mangent comme les
+loups</span>, <span class="italic">boivent
+diablement</span>, <span class="italic">et se battent comme
+les lions</span>. Die Pohlnischen Offiziere konnten den
+französischen Soldaten nicht Lob genug ertheilen über ihren
+Muth, ihre Unverdrossenheit und ihren pünktlichen Gehorsam.
+Wo die Franzosen nicht durchdrangen, waren gewiss alle Mal
+ihre Anführer Schuld daran. Es wurde behauptet, dass das
+Pohlnische Corps bey der letzten Musterung noch 15000 Mann
+stark gewesen sey; und jetzt wird eben in Livorno ein Theil
+davon nach Sankt Domingo eingeschifft. Es hat das Ansehen,
+als ob Bonaparte alle Truppen, die
+<!-- pb n="410 " facs="#f0438"/ --> ihm zu seinen Absichten
+in Europa als etwas undienstlich vorkommen, auf diese gute
+kluge Weise fortzuschaffen suche, welches man auch hier und
+da zu merken scheint. Auch werden die Unruhen dort
+vielleicht geflissentlich nicht so schnell gedämpft, als
+wohl sonst die französische Energie vermöchte.</p>
+
+<p>Die freundliche Aufnahme des Generals hielt mich mehrere
+Tage länger hier, als ich zu bleiben gesonnen war; und in
+den Mussenstunden lese ich mit viel Genuss Wielands Oberon,
+den mir ein Landsmann brachte. Die ersten Tage hatte man
+mich im Wirthshause mit einem gewissen Misstrauen wie einen
+gewöhnlichen Tornisterträger behandelt, da ich aber täglich
+zum General ging, feine Hemden in die Wäsche gab, artige
+Leute zum Besuch auf meinem Zimmer empfing, und vorzüglich
+wohl da ich einige schwere Goldstücke wechseln liess, ward
+das ganze Haus vom Prinzipal bis zum letzten Stubenfeger
+ungewöhnlich artig. Noch muss ich Dir bemerken, dass ich in
+Mailand von ganz Italien nach meinem Geschmack die schönsten
+Weiber gefunden habe; den Korso in Rom nicht ausgenommen.
+Ich urtheile nach den Promenaden, die hier sehr volkreich
+sind, und nach den Schauspielen. Hier im Hause hatte ich nun
+vermuthlich, wie in Italien oft, das Unglück, für einen
+reichen Sonderling zu gelten, den man nach seiner Weise
+behandeln müsse. Ich mochte in Unteritalien und Sicilien oft
+protestieren so viel ich wollte, und meine Deutschheit
+behaupten, so war ich immer <span class="italic">Signor
+Inglese</span> und <span class="italic">Eccellenza</span>;
+und man machte die Rechnung darnach. So etwas mochte man
+auch nach verjüngtem Massstabe in Mailand denken. Die
+<!-- pb n="411 " facs="#f0439"/ --> Industrie ist
+mancherley. Ich sass an einem Sonntag Morgens recht ruhig in
+meinem Zimmer und las wirklich zufällig etwas in den
+Libertinagen Katulls; da klopfte es und auf meinen Ruf trat
+ein Mädchen ins Zimmer, das die sechste Bitte auch ohne
+Katull stark genug dargestellt hätte. Die junge schöne
+Sünderin schien ihre Erscheinung mit den feinsten
+Hetärenkünste berechnet zu haben. Ich will durch ihre
+Beschreibung mein Verdienst weder als Stilist noch als
+Philosoph zu erhöhen suchen. <span class="italic">Signore
+comanda qualche cosa?</span> fragte sie in lieblich
+lispelndem Ton, indem sie die niedliche Hand an einem
+Körbchen spielen liess und Miene machte es zu öffnen. Ich
+sah sie etwas betroffen an und brauchte einige Augenblicke,
+ehe ich etwas unschlüssig <span class="italic">No</span>
+antwortete. <span class="italic">Niente?</span> fragte sie,
+und der Teufel muss ihr im Ton Unterricht gegeben haben. Ich
+warf den Katull ins Fenster und war höchst wahrscheinlich im
+Begriff eine Sottise zu sagen oder gar zu begehen, als mir
+schnell die ernstere Philosophie still eine Ohrfeige
+gab. <span class="italic">Niente</span>, brummte ich
+grämelnd, halb mit mir selbst in Zwist; und die Versucherin
+nahm mit unbeschreiblicher Grazie Abschied. Wer weiss, ob
+ich nicht das Körbchen etwas näher untersucht hätte, wenn
+die Teufelin zum dritten Mal mit der nehmlichen Stimme
+gefragt hätte, ob gar nichts gefiele. So war die Sache, mein
+Freund; und wäre sie anders gewesen, so bin ich nicht so
+engbrüstig und könnte sie Dir anders oder gar nicht erzählt
+haben. Ich ging also nur leidlich mit mir zufrieden zum
+General.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>