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+ <title>Die Nordsee.</title>
+</head>
+
+<body>
+<h2 class="section center">Die Nordsee.</h2>
+
+<h4 class="center">1825 &mdash; 1826.</h4>
+<div class="dedication">
+<div class="spaced">Friedrich Merkel</div>
+sind die Bilder der Nordsee freundschaftlichst<br />
+zugeeignet<br />
+vom
+<div class="spaced">Verfasser.</div>
+</div>
+
+<h3 class="section center">Erster Cyklus.</h3>
+
+</body>
+</html>
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+ <title>I. Krönung.</title>
+</head>
+
+<body>
+<h3 class="section center">Erster Cyklus.</h3>
+
+<h4>I.</h4>
+<h5>Krönung.</h5>
+
+<p>
+<span class="initial">I</span>hr Lieder! Ihr meine guten Lieder!<br />
+Auf, auf! und wappnet Euch!<br />
+Laßt die Trompeten klingen,<br />
+Und hebt mir auf den Schild<br />
+Dies junge Mädchen,<br />
+Das jetzt mein ganzes Herz<br />
+Beherrschen soll, als Königin.
+</p>
+<p>
+Heil dir! du junge Königin!
+</p>
+<p>
+Von der Sonne droben<br />
+Reiß' ich das strahlend rothe Gold,<br />
+Und webe d'raus ein Diadem<br />
+Für dein geweihtes Haupt,
+</p>
+<p>
+Von der flatternd blauseid'nen Himmelsdecke,<br />
+Worin die Nachtdiamanten blitzen,<br />
+Schneid' ich ein kostbar Stück,<br />
+Und häng' es dir, als Krönungsmantel,<br />
+Um deine königliche Schulter.<br />
+Ich gebe dir einen Hofstaat<br />
+Von steifgeputzten Sonetten,<br />
+Stolzen Terzinen und höflichen Stanzen;<br />
+Als Läufer diene dir mein Witz,<br />
+Als Hofnarr meine Phantasie,<br />
+Als Herold die lachende Thräne im Wappen,<br />
+Diene dir mein Humor.<br />
+Aber ich selber, Königin,<br />
+<span class="spaced">Ich</span> kniee vor dir nieder,<br />
+Und huld'gend, auf rothem Sammetkissen,<br />
+Ueberreiche ich Dir<br />
+Das bischen Verstand,<br />
+Das mir aus Mitleid noch gelassen hat<br />
+Deine Vorgängerin im Reich.
+</p>
+
+</body>
+</html>
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+ <title>II. Abenddämmerung.</title>
+</head>
+
+<body>
+<h4>II.</h4>
+<h5>Abenddämmerung.</h5>
+
+<p>
+Am blassen Meeresstrande<br />
+Saß ich gedankenbekümmert und einsam.<br />
+Die Sonne neigte sich tiefer, und warf<br />
+Glührothe Streifen auf das Wasser,<br />
+Und die weißen, weiten Wellen,<br />
+Von der Fluth gedrängt,<br />
+Schäumten und rauschten näher und näher&nbsp;&ndash;<br />
+Ein seltsam Geräusch, ein Flüstern und Pfeifen,<br />
+Ein Lachen und Murmeln, Seufzen und Sausen,<br />
+Dazwischen ein wiegenliedheimliches Singen&nbsp;&ndash;<br />
+Mir war als hört' ich verscholl'ne Sagen,<br />
+Uralte, liebliche Mährchen,<br />
+Die ich einst, als Knabe,<br />
+Von Nachbarskindern vernahm,<br />
+Wenn wir am Sommerabend,<br />
+Auf den Treppensteinen der Hausthür,<br />
+Zum stillen Erzählen niederkauerten,<br />
+Mit kleinen, horchenden Herzen
+</p>
+<p>
+Und neugierklugen Augen;&nbsp;&ndash;<br />
+Während die großen Mädchen,<br />
+Neben duftenden Blumentöpfen,<br />
+Gegenüber am Fenster saßen,<br />
+Rosengesichter,<br />
+Lächelnd und mondbeglänzt.
+</p>
+
+</body>
+</html>
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+ <title>III. Sonnenuntergang.</title>
+</head>
+
+<body>
+<h4>III.</h4>
+<h5>Sonnenuntergang.</h5>
+
+<p>
+Die glühend rothe Sonne steigt<br />
+Hinab in's weitaufschauernde,<br />
+Silbergraue Weltmeer;<br />
+Luftgebilde, rosig angehaucht,<br />
+Wallen ihr nach, und gegenüber,<br />
+Aus herbstlich dämmernden Wolkenschleiern,<br />
+Ein traurig todtblasses Antlitz,<br />
+Bricht hervor der Mond,<br />
+Und hinter ihm, Lichtfünkchen,<br />
+Nebelweit, schimmern die Sterne.
+</p>
+<p>
+Einst am Himmel glänzten,<br />
+Ehlich vereint,<br />
+Luna, die Göttin, und Sol, der Gott,<br />
+Und es wimmelten um sie her die Sterne,<br />
+Die kleinen, unschuldigen Kinder.
+</p>
+<p>
+Doch böse Zungen zischelten Zwiespalt,<br />
+Und es trennte sich feindlich<br />
+Das hohe, leuchtende Eh'paar.
+</p>
+<p>
+Jetzt am Tage, in einsamer Pracht,<br />
+Ergeht sich dort oben der Sonnengott,<br />
+Ob seiner Herrlichkeit<br />
+Angebetet und vielbesungen<br />
+Von stolzen, glückgehärteten Menschen.<br />
+Aber des Nachts<br />
+Am Himmel wandelt Luna,<br />
+Die arme Mutter<br />
+Mit ihren verwaisten Sternenkindern,<br />
+Und sie glänzt in stummer Wehmuth,<br />
+Und liebende Mädchen und sanfte Dichter<br />
+Weihen ihr Thränen und Lieder.
+</p>
+<p>
+Die weiche Luna! Weiblich gesinnt<br />
+Liebt sie noch immer den schönen Gemahl.<br />
+Gegen Abend, zitternd und bleich,<br />
+Lauscht sie hervor aus leichtem Gewölk,<br />
+Und schaut nach dem Scheidenden, schmerzlich,<br />
+Und möchte ihm ängstlich rufen: »Komm!<br />
+Komm! die Kinder verlangen nach Dir&nbsp;&ndash; «;<br />
+Aber der trotzige Sonnengott,
+</p>
+<p>
+Bei dem Anblick der Gattin erglüht' er<br />
+In doppeltem Purpur,<br />
+Vor Zorn und Schmerz,<br />
+Und unerbittlich eilt er hinab<br />
+In sein fluthenkaltes Wittwerbett.
+</p>
+
+<p>
+Böse, zischelnde Zungen<br />
+Brachten also Schmerz und Verderben<br />
+Selbst über ewige Götter.<br />
+Und die armen Götter, oben am Himmel<br />
+Wandeln sie, qualvoll,<br />
+Trostlos unendliche Bahnen,<br />
+Und können nicht sterben,<br />
+Und schleppen mit sich<br />
+Ihr strahlendes Elend.
+</p>
+<p>
+Ich aber, der Mensch,<br />
+Der niedriggepflanzte, der Tod-beglückte.<br />
+Ich klage nicht länger.
+</p>
+
+</body>
+</html>
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+ <title>IV. Die Nacht am Strande.</title>
+</head>
+
+<body>
+<h4>IV.</h4>
+<h5>Die Nacht am Strande.</h5>
+
+<p>
+Sternlos und kalt ist die Nacht,<br />
+Es gährt das Meer;<br />
+Und über dem Meer', platt auf dem Bauch,<br />
+Liegt der ungestaltete Nordwind,<br />
+Und heimlich, mit ächzend gedämpfter Stimme,<br />
+Wie'n störriger Griesgram, der gutgelaunt wird,<br />
+Schwatzt er in's Wasser hinein,<br />
+Und erzählt viel tolle Geschichten,<br />
+Riesenmährchen, todtschlaglaunig,<br />
+Uralte Sagen aus Norweg,<br />
+Und dazwischen, weitschallend, lacht er und heult er<br />
+Beschwörungslieder der Edda,<br />
+Graue Runensprüche,<br />
+So dunkeltrotzig und zaubergewaltig,<br />
+Daß die weißen Meerkinder<br />
+Hochaufspringen und jauchzen,<br />
+Uebermuth-berauscht.
+</p>
+<p>
+Derweilen, am flachen Gestade,<br />
+Ueber den fluthbefeuchteten Sand,<br />
+Schreitet ein Fremdling, mit einem Herzen,<br />
+Das wilder noch als Wind und Wellen;<br />
+Wo es hintritt,<br />
+Sprühen Funken und knistern die Muscheln,<br />
+Und er hüllt sich fest in den grauen Mantel,<br />
+Und schreitet rasch durch die wehende Nacht;<br />
+Sicher geleitet vom kleinen Lichte,<br />
+Das lockend und lieblich schimmert<br />
+Aus einsamer Fischerhütte.
+</p>
+<p>
+Vater und Bruder sind auf der See,<br />
+Und mutterseelallein blieb dort<br />
+In der Hütte die Fischertochter,<br />
+Die wunderschöne Fischertochter.<br />
+Am Heerde sitzt sie<br />
+Und horcht auf des Wasserkessels<br />
+Ahnungssüßes, heimliches Summen,<br />
+Und schüttet knisterndes Reisig in's Feuer,<br />
+Und bläßt hinein,<br />
+Daß die flackernd rothen Lichter<br />
+Zauberlieblich wiederstrahlen<br />
+Auf das blühende Antlitz,<br />
+Auf die zarte, weiße Schulter,<br />
+Die rührend hervorlauscht
+</p>
+<p>
+Aus dem groben, grauen Hemde,<br />
+Und auf die kleine, sorgsame Hand,<br />
+Die das Unterröckchen fester bindet<br />
+Um die feine Hüfte.
+</p>
+<p>
+Aber plötzlich, die Thür springt auf,<br />
+Und es tritt herein der nächtige Fremdling;<br />
+Liebesicher ruht sein Auge<br />
+Auf dem weißen, schlanken Mädchen,<br />
+Das schauernd vor ihm steht,<br />
+Gleich einer erschrockenen Lilie;<br />
+Und er wirft den Mantel zur Erde,<br />
+Und lacht und spricht:
+</p>
+<p>
+Siehst du, mein Kind, ich halte Wort,<br />
+Und ich komme, und mit mir kommt<br />
+Die alte Zeit, wo die Götter des Himmels<br />
+Niederstiegen zu Töchtern der Menschen,<br />
+Und die Töchter der Menschen umarmten,<br />
+Und mit ihnen zeugten<br />
+Zeptertragende Königsgeschlechter<br />
+Und Helden, Wunder der Welt.<br />
+Doch staune, mein Kind, nicht länger<br />
+Ob meiner Göttlichkeit,<br />
+Und ich bitte dich, koche mir Thee mit Rum,
+</p>
+<p>
+Denn draußen war's kalt,<br />
+Und bei solcher Nachtluft<br />
+Frieren auch wir, wir ewigen Götter,<br />
+Und kriegen wir leicht den göttlichsten Schnupfen,<br />
+Und einen unsterblichen Husten.
+</p>
+
+</body>
+</html>
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+ <title>V. Poseidon.</title>
+</head>
+
+<body>
+<h4>V.</h4>
+<h5>Poseidon.</h5>
+
+<p>
+Die Sonnenlichter spielten<br />
+Ueber das weithinrollende Meer;<br />
+Fern' auf der Rhede glänzte das Schiff,<br />
+Das mich zur Heimath tragen sollte;<br />
+Aber es fehlte an gutem Fahrwind,<br />
+Und ich saß noch ruhig auf weißer Dühne,<br />
+Am einsamen Strand,<br />
+Und ich las das Lied vom Odysseus,<br />
+Das alte, das ewig junge Lied,<br />
+Aus dessen meerdurchrauschten Blättern<br />
+Mir freudig entgegenstieg<br />
+Der Athem der Götter,<br />
+Und der leuchtende Menschenfrühling,<br />
+Und der blühende Himmel von Hellas.
+</p>
+<p>
+Mein edles Herz begleitete treulich<br />
+Den Sohn des Laertes, in Irrfahrt und Drangsal,
+</p>
+<p>
+Setzte sich mit ihm, seelenbekümmert,<br />
+An gastliche Heerde,<br />
+Wo Königinnen Purpur spinnen,<br />
+Und half ihm lügen und glücklich entrinnen<br />
+Aus Riesenhöhlen und Nymphenarmen,<br />
+Folgte ihm nach in kimmerische Nacht,<br />
+Und in Sturm und Schiffbruch,<br />
+Und duldete mit ihm unsägliches Elend.
+</p>
+<p>
+Seufzend sprach ich: Du böser Poseidon,<br />
+Dein Zorn ist furchtbar,<br />
+Und mir selber bangt<br />
+Ob der eignen Heimkehr.
+</p>
+<p>
+Kaum sprach ich die Worte,<br />
+Da schäumte das Meer,<br />
+Und aus den weißen Wellen stieg<br />
+Das schilfbekränzte Haupt des Meergotts,<br />
+Und höhnisch rief er:
+</p>
+<p>
+Fürchte dich nicht, Poetlein!<br />
+Ich will nicht im g'ringsten gefährden<br />
+Dein armes Schiffchen,<br />
+Und nicht dein liebes Leben beängst'gen
+</p>
+<p>
+Mit allzubedenklichem Schaukeln.<br />
+Denn Du, Poetlein, hast nie mich erzürnt,<br />
+Du hast kein einziges Thürmchen verletzt<br />
+An Priamos heiliger Veste,<br />
+Kein einziges Härchen hast du versengt<br />
+Am Aug' meines Sohns Polyphemos,<br />
+Und dich hat niemals rathend beschützt<br />
+Die Göttin der Klugheit, Pallas Athene.
+</p>
+<p>
+Also rief Poseidon<br />
+Und tauchte zurück in's Meer;<br />
+Und über den groben Seemannswitz<br />
+Lachten unter dem Wasser<br />
+Amphitrite, das plumpe Fischweib,<br />
+Und die dummen Töchter des Nereus.
+</p>
+
+</body>
+</html>
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+ <title>VI. Erklärung.</title>
+</head>
+
+<body>
+<h4>VI.</h4>
+<h5>Erklärung.</h5>
+
+<p>
+Herangedämmert kam der Abend,<br />
+Wilder tos'te die Fluth,<br />
+Und ich saß am Strand, und schaute zu<br />
+Dem weißen Tanz der Wellen,<br />
+Und meine Brust schwoll auf wie das Meer,<br />
+Und sehnend ergriff mich ein tiefes Heimweh<br />
+Nach dir, du holdes Bild,<br />
+Das überall mich umschwebt,<br />
+Und überall mich ruft,<br />
+Ueberall, überall,<br />
+Im Sausen des Windes, im Brausen des Meers,<br />
+Und im Seufzen der eigenen Brust.
+</p>
+<p>
+Mit leichtem Rohr schrieb ich in den Sand:<br />
+»Agnes, ich liebe Dich!«;<br />
+Doch böse Wellen ergossen sich<br />
+Ueber das süße Bekenntniß,<br />
+Und löschten es aus.
+</p>
+<p>
+Zerbrechliches Rohr, zerstiebender Sand,<br />
+Zerfließende Wellen, Euch trau' ich nicht mehr!<br />
+Der Himmel wird dunkler, mein Herz wird wilder,<br />
+Und mit starker Hand, aus Norwegs Wäldern<br />
+Reiß ich die höchste Tanne,<br />
+Und tauche sie ein<br />
+In des Aetnas glühenden Schlund, und mit solcher<br />
+Feuergetränkten Riesenfeder<br />
+Schreib' ich an die dunkle Himmelsdecke:<br />
+»Agnes, ich liebe Dich!«;
+</p>
+<p>
+Jedwede Nacht lodert alsdann<br />
+Dort oben die ewige Flammenschrift,<br />
+Und alle nachwachsende Enkelgeschlechter<br />
+Lesen jauchzend die Himmelsworte:<br />
+»Agnes, ich liebe Dich!«;
+</p>
+
+</body>
+</html>
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+ <title>VII. Nachts in der Cajüte.</title>
+</head>
+
+<body>
+<h4>VII.</h4>
+<h5>Nachts in der Cajüte.</h5>
+
+<p>
+Das Meer hat seine Perlen,<br />
+Der Himmel hat seine Sterne,<br />
+Aber mein Herz, mein Herz,<br />
+Mein Herz hat seine Liebe.
+</p>
+<p>
+Groß ist das Meer und der Himmel,<br />
+Doch größer ist mein Herz,<br />
+Und schöner als Perlen und Sterne<br />
+Leuchtet und strahlt meine Liebe.
+</p>
+<p>
+Du kleines, junges Mädchen,<br />
+Komm an mein großes Herz;<br />
+Mein Herz und das Meer und der Himmel<br />
+Vergehn vor lauter Liebe.
+</p>
+
+<p>
+An die blaue Himmelsdecke,<br />
+Wo die schönen Sterne blinken,<br />
+Möcht' ich pressen meine Lippen,<br />
+Pressen wild und stürmisch weinen.
+</p>
+<p>
+Jene Sterne sind die Augen<br />
+Meiner Liebsten, tausendfältig<br />
+Schimmern sie und grüßen freundlich,<br />
+Aus der blauen Himmelsdecke.
+</p>
+<p>
+Nach der blauen Himmelsdecke,<br />
+Nach den Augen der Geliebten,<br />
+Heb' ich andachtsvoll die Arme,<br />
+Und ich bete und ich flehe:
+</p>
+<p>
+Holde Augen, Gnadenlichter,<br />
+O, beseligt meine Seele,<br />
+Laßt mich sterben und erwerben<br />
+Euch und Euren ganzen Himmel!
+</p>
+
+<p>
+Aus den Himmelsaugen droben<br />
+Fallen zitternd lichte Funken<br />
+Durch die Nacht, und meine Seele<br />
+Dehnt sich liebeweit und weiter.
+</p>
+<p>
+O, Ihr Himmelsaugen droben!<br />
+Weint Euch aus in meine Seele,<br />
+Daß von lieben Sternenthränen<br />
+Ueberfließet meine Seele.
+</p>
+
+<p>
+Eingewiegt von Meereswellen,<br />
+Und von träumenden Gedanken,<br />
+Lieg' ich still in der Kajüte,<br />
+In dem dunkeln Winkelbette.
+</p>
+<p>
+Durch die off'ne Luke schau' ich<br />
+Droben hoch die hellen Sterne,<br />
+Die geliebten, süßen Augen<br />
+Meiner süßen Vielgeliebten.
+</p>
+<p>
+Die geliebten, süßen Augen,<br />
+Wachen über meinem Haupte,<br />
+Und sie klingen und sie winken<br />
+Aus der blauen Himmelsdecke.
+</p>
+<p>
+Nach der blauen Himmelsdecke<br />
+Schau' ich selig lange Stunden,<br />
+Bis ein weißer Nebelschleier<br />
+Mir verhüllt die lieben Augen.
+</p>
+<p>
+An die bretterne Schiffswand,<br />
+Wo mein träumendes Haupt liegt,<br />
+Branden die Wellen, die wilden Wellen.<br />
+Sie rauschen und murmeln<br />
+Mir heimlich in's Ohr:<br />
+»Bethörter Geselle!<br />
+Dein Arm ist kurz, und der Himmel ist weit<br />
+Und die Sterne droben sind festgenagelt,<br />
+Vergebliches Sehnen, vergebliches Seufzen,<br />
+Das Beste wäre, du schliefest ein.«;
+</p>
+
+<p>
+Es träumte mir von einer weiten Haide,<br />
+Weit überdeckt von weißem, weißem Schnee,<br />
+Und unter'm weißen Schnee lag ich begraben<br />
+Und schlief den einsam kalten Todesschlaf.
+</p>
+<p>
+Doch droben aus dem dunkeln Himmel schauten<br />
+Herunter auf mein Grab die Sternenaugen,<br />
+Die süßen Augen! und sie glänzten sieghaft<br />
+Und ruhig heiter, aber voller Liebe.
+</p>
+
+</body>
+</html>
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+<head>
+ <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" />
+ <link href="../../../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" />
+ <title>VIII. Sturm.</title>
+</head>
+
+<body>
+<h4>VIII.</h4>
+<h5>Sturm.</h5>
+
+<p>
+Es wüthet der Sturm,<br />
+Und er peitscht die Well'n,<br />
+Und die Wellen, wuthschäumend und bäumend,<br />
+Thürmen sich auf, und es wogen lebendig<br />
+Die weißen Wasserberge,<br />
+Und das Schifflein erklimmt sie<br />
+Hastig mühsam,<br />
+Und plötzlich stürzt es hinab<br />
+In schwarze, weitgähnende Fluthabgründe&nbsp;&ndash;
+</p>
+<p>
+O Meer!<br />
+Mutter der Schönheit, der Schaumentstiegenen!<br />
+Großmutter der Liebe! schone meiner!<br />
+Schon flattert, leichenwitternd,<br />
+Die weiße, gespenstische Möve,<br />
+Und wetzt an dem Mastbaum den Schnabel<br />
+Und lechzt, voll Fraßbegier, nach dem Mund,<br />
+Der vom Ruhm deiner Tochter ertönt,
+</p>
+<p>
+Und lechzt nach dem Herzen,<br />
+Das dein Enkel, der kleine Schalk,<br />
+Zum Spielzeug erwählt.
+</p>
+<p>
+Vergebens mein Bitten und Flehn!<br />
+Mein Rufen verhallt im tosenden Sturm,<br />
+Im Schlachtlärm der Winde;<br />
+Es braußt und pfeift und prasselt und heult,<br />
+Wie ein Tollhaus von Tönen!<br />
+Und zwischendurch hör' ich vernehmbar<br />
+Lockende Harfenlaute,<br />
+Sehnsuchtwilden Gesang,<br />
+Seelenschmelzend und seelenzerreißend,<br />
+Und ich erkenne die Stimme.
+</p>
+<p>
+Fern an schottischer Felsenküste,<br />
+Wo das graue Schlößlein hinausragt<br />
+Ueber die brandende See,<br />
+Dort am hochgewölbten Fenster,<br />
+Steht eine schöne, kranke Frau,<br />
+Zartdurchsichtig und marmorblaß,<br />
+Und sie spielt die Harfe und singt,<br />
+Und der Wind durchwühlt ihre langen Locken,<br />
+Und trägt ihr dunkles Lied<br />
+Ueber das weite, stürmende Meer.
+</p>
+
+</body>
+</html>
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+<head>
+ <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" />
+ <link href="../../../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" />
+ <title>IX. Meeresstille.</title>
+</head>
+
+<body>
+<h4>IX.</h4>
+<h5>Meeresstille.</h5>
+
+<p>
+Meeresstille! Ihre Strahlen<br />
+Wirft die Sonne auf das Wasser,<br />
+Und im wogenden Geschmeide<br />
+Zieht das Schiff die grünen Furchen.
+</p>
+<p>
+Bei dem Steuer liegt der Bootsmann<br />
+Auf dem Bauch, und schnarchet leise.<br />
+Bei dem Mastbaum, seegelflickend,<br />
+Kauert der betheerte Schiffsjung.
+</p>
+<p>
+Hinter'm Schmutze seiner Wangen<br />
+Sprüht es roth, wehmüthig zuckt es<br />
+Um das breite Maul, und schmerzlich<br />
+Schau'n die großen, schönen Augen.
+</p>
+<p>
+Denn der Capitän steht vor ihm,<br />
+Tobt und flucht und schilt ihn: Spitzbub.<br />
+»Spitzbub! einen Hering hast du<br />
+Aus der Tonne mir gestohlen!«;
+</p>
+<p>
+Meeresstille! Aus den Wellen<br />
+Taucht hervor ein kluges Fischlein,<br />
+Wärmt das Köpfchen in der Sonne,<br />
+Plätschert lustig mit dem Schwänzchen.
+</p>
+<p>
+Doch die Möve, aus den Lüften,<br />
+Schießt herunter auf das Fischlein,<br />
+Und den raschen Raub im Schnabel<br />
+Schwingt sie sich hinauf in's Blaue.
+</p>
+
+</body>
+</html>
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+<head>
+ <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" />
+ <link href="../../../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" />
+ <title>X. Seegespenst.</title>
+</head>
+
+<body>
+<h4>X.</h4>
+<h5>Seegespenst.</h5>
+
+<p>
+Ich aber lag am Rande des Schiffes,<br />
+Und schaute, träumenden Auges,<br />
+Hinab in das spiegelklare Wasser,<br />
+Und schaute tiefer und tiefer&nbsp;&ndash;<br />
+Bis tief, im Meeresgrunde,<br />
+Anfangs wie dämmernde Nebel,<br />
+Jedoch allmählig farbenbestimmter,<br />
+Kirchenkuppel und Thürme sich zeigten<br />
+Und endlich, sonnenklar, eine ganze Stadt,<br />
+Alterthümlich niederländisch,<br />
+Und menschenbelebt.<br />
+Bedächtige Männer, schwarzbemäntelt,<br />
+Mit weißen Halskrausen und Ehrenketten<br />
+Und langen Degen und langen Gesichtern,<br />
+Schreiten über den wimmelnden Marktplatz
+</p>
+<p>
+Nach dem treppenhohen Rathhaus',<br />
+Wo steinerne Kaiserbilder<br />
+Wacht halten mit Zepter und Schwerdt.<br />
+Unferne, vor langen Häuser-Reih'n<br />
+Mit spiegelblanken Fenstern,<br />
+Stehn pyramidisch beschnittene Linden,<br />
+Und wandeln seidenrauschende Jungfrau'n,<br />
+Ein gülden Band um den schlanken Leib,<br />
+Die Blumengesichter sittsam umschlossen<br />
+Von schwarzen, sammtnen Mützchen,<br />
+Woraus die Lockenfülle hervordringt.<br />
+Bunte Gesellen, in spanischer Tracht,<br />
+Stolziren vorüber und nicken.<br />
+Bejahrte Frauen,<br />
+In braunen, verschollnen Gewändern,<br />
+Gesangbuch und Rosenkranz in der Hand,<br />
+Eilen, trippelnden Schritts,<br />
+Nach dem großen Dome,<br />
+Getrieben von Glockengeläute<br />
+Und rauschendem Orgelton.
+</p>
+<p>
+Mich selbst ergreift des fernen Klangs<br />
+Geheimnißvoller Schauer,<br />
+Unendliches Sehnen, tiefe Wehmuth<br />
+Beschleicht mein Herz,<br />
+Mein kaum geheiltes Herz;
+</p>
+<p>
+Mir ist als würden seine Wunden<br />
+Von lieben Lippen aufgeküßt,<br />
+Und thäten wieder bluten,<br />
+Heiße, rothe Tropfen,<br />
+Die lang und langsam niederfall'n<br />
+Auf ein altes Haus dort unten<br />
+In der tiefen Meerstadt,<br />
+Auf ein altes, hochgegiebeltes Haus,<br />
+Das melancholisch menschenleer ist,<br />
+Nur daß am untern Fenster<br />
+Ein Mädchen sitzt,<br />
+Den Kopf auf den Arm gestützt,<br />
+Wie ein armes, vergessenes Kind&nbsp;&ndash;<br />
+Und ich kenne dich armes, vergessenes Kind!
+</p>
+<p>
+So tief, so tief also<br />
+Verstecktest du dich vor mir,<br />
+Aus kindischer Laune,<br />
+Und konntest nicht mehr herauf,<br />
+Und saßest fremd unter fremden Leuten,<br />
+Fünfhundert Jahre lang,<br />
+Derweilen ich, die Seele voll Gram,<br />
+Auf der ganzen Erde dich suchte,<br />
+Und immer dich suchte,<br />
+Du Immergeliebte,<br />
+Du Längstverlorene,
+</p>
+<p>
+Du Endlichgefundene,&nbsp;&ndash;<br />
+Ich hab' dich gefunden und schaue wieder<br />
+Dein süßes Gesicht,<br />
+Die klugen, treuen Augen,<br />
+Das liebe Lächeln&nbsp;&ndash;<br />
+Und nimmer will ich dich wieder verlassen,<br />
+Und ich komme hinab zu dir,<br />
+Und mit ausgebreiteten Armen<br />
+Stürz' ich hinab an dein Herz&nbsp;&ndash;
+</p>
+<p>
+Aber zur rechten Zeit noch<br />
+Ergriff mich beim Fuß der Capitän,<br />
+Und zog mich vom Schiffsrand,<br />
+Und rief, ärgerlich lachend:<br />
+Doktor, sind Sie des Teufels?
+</p>
+
+</body>
+</html>
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+ <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" />
+ <link href="../../../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" />
+ <title>XI. Reinigung.</title>
+</head>
+
+<body>
+<h4>XI.</h4>
+<h5>Reinigung.</h5>
+
+<p>
+Bleib' du in deiner Meerestiefe,<br />
+Wahnsinniger Traum,<br />
+Der du einst so manche Nacht<br />
+Mein Herz mit falschem Glück gequält hast<br />
+Und jetzt, als See-Gespenst,<br />
+Sogar am hellen Tag' mich bedrohest&nbsp;&ndash;<br />
+Bleib' Du dort unten, in Ewigkeit,<br />
+Und ich werfe noch zu dir hinab<br />
+All meine Schmerzen und Sünden<br />
+Und die Schellenkappe der Thorheit,<br />
+Die so lange mein Haupt umklingelt,<br />
+Und die kalte, gleißende Schlangenhaut<br />
+Der Heuchelei,<br />
+Die mir so lang' die Seele umwunden,<br />
+Die kranke Seele,<br />
+Die gottverleugnende, engelverleugnende,
+</p>
+<p>
+Unselige Seele&nbsp;&ndash;<br />
+Hoiho! hoiho! Da kommt der Wind!<br />
+Die Segel auf! Sie flattern und schwell'n;<br />
+Ueber die stillverderbliche Fläche<br />
+Eilet das Schiff,<br />
+Und es jauchzt die befreite Seele.
+</p>
+
+</body>
+</html>
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+ <title>XII. Frieden.</title>
+</head>
+
+<body>
+<h4>XII.</h4>
+<h5>Frieden.</h5>
+
+<p>
+Hoch am Himmel stand die Sonne,<br />
+Von weißen Wolken umwogt,<br />
+Das Meer war still,<br />
+Und sinnend lag ich am Steuer des Schiffes,<br />
+Träumerisch sinnend,&nbsp;&ndash; und halb im Wachen<br />
+Und halb im Schlummer, schaute ich Christus,<br />
+Den Heiland der Welt.<br />
+Im wallend weißen Gewande<br />
+Wandelt' er riesengroß<br />
+Ueber Land und Meer;<br />
+Es ragte sein Haupt in den Himmel,<br />
+Die Hände streckte er segnend<br />
+Ueber Land und Meer;<br />
+Und als ein Herz in der Brust<br />
+Trug er die Sonne,<br />
+Die rothe, flammende Sonne,
+</p>
+<p>
+Und das rothe, flammende Sonnenherz<br />
+Goß seine Gnadenstrahlen<br />
+Und sein holdes, liebseliges Licht,<br />
+Erleuchtend und wärmend,<br />
+Ueber Land und Meer.
+</p>
+<p>
+Glockenklänge zogen feierlich<br />
+Hin und her, zogen wie Schwäne,<br />
+Am Rosenbande, das gleitende Schiff,<br />
+Und zogen es spielend an's grüne Ufer,<br />
+Wo Menschen wohnen, in hochgethürmter,<br />
+Ragender Stadt.
+</p>
+<p>
+O Friedenswunder! Wie still die Stadt!<br />
+Es ruhte das dumpfe Geräusch<br />
+Der schwatzenden, schwülen Gewerbe,<br />
+Und durch die reinen, hallenden Straßen<br />
+Zogen Menschen, weißgekleidete,<br />
+Palmzweig-tragende,<br />
+Und wo sich Zwei begegneten,<br />
+Sahn sie sich an, verständnißinnig,<br />
+Und schauernd, in Liebe und süßer Entsagung,<br />
+Küßten sie sich auf die Stirne,<br />
+Und schauten hinauf<br />
+Nach des Heilands Sonnenherzen,
+</p>
+<p>
+Das freudig versöhnend sein rothes Blut<br />
+Hinunterstrahlte,<br />
+Und dreimalselig sprachen sie:<br />
+Gelobt sey Jesu Christ!
+</p>
+
+</body>
+</html>