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author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:53:51 +0100 |
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committer | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:53:51 +0100 |
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Die +Vernünftigen wissen das alles längst. +<!-- pb n="IV" facs="#f0014" --> Aber es wird doch meistens +entweder gar nicht oder nur sehr leise gesagt: und mich +däucht es ist doch nothwendig, dass es nun nach und nach +auch laut und fest und deutlich gesagt werde, wenn wir nicht +in Ewigkeit Milch trinken wollen. Bey dieser Kindernahrung +möchte man uns gar zu gern beständig erhalten. Ohne starke +Speise wird aber kein Mann im Einzelnen, werden keine Männer +im Allgemeinen: das hält im Moralischen wie im Physischen. +Es thut mir leid, wenn ich in den Ton der Anmasslichkeit +gefallen seyn sollte. Aber es ist schwer, es ist sogar ohne +Verrath der Sache unmöglich, bey gewissen Gegenständen die +schöne Bescheidenheit zu halten. Ich überlasse das Gesagte +der Prüfung und seiner Wirkung, und bin zufrieden, dass ich +das Wahre und Gute wollte.</p> + +<p>Es ist eine sehr alte Bemerkung, dass fast jeder +Schriftsteller in seinen Büchern nur sein Ich schreibt. Das +kann nicht anders seyn und soll wohl nicht anders seyn; wenn +sich nur jeder vorher in gutes Licht und reine Stimmung +setzt. Ich bin mir bewusst, dass ich lieber das Gute sehe +und mich darüber freue, als das +<!-- pb n="V" facs="#f0015"/ --> Böse finde und darüber +zürne: aber die Freude bleibt still, und der Zorn wird +laut.</p> + +<p>In Romanen hat man uns nun lange genug alte nicht mehr +geläugnete Wahrheiten dichterisch eingekleidet, dargestellt +und tausend mal wiederholt. Ich tadle dieses nicht; es ist +der Anfang: aber immer nur Milchspeise der Kinder. Wir +sollten doch endlich auch Männer werden und beginnen die +Sachen ernsthaft geschichtsmässig zu nehmen, ohne Vorurtheil +und Groll, ohne Leidenschaft und Selbstsucht. Oerter, +Personen, Namen, Umstände sollten immer bey den Thatsachen +als Belege seyn, damit alles so viel als +<!-- choice><sic -->möglieh<!-- /sic><corr>möglich</corr></choice --> +aktenmässig würde. Die Geschichte ist am Ende doch ganz +allein das Magazin unsers Guten und Schlimmen.</p> + +<p>Die Sache hat allerdings ihre Schwierigkeit. Wagt man +sich an ein altes Vorurtheil des Kultus, so ist man noch +jetzt ein Gottloser; sondirt man etwas näher ein politisches +und spricht über Malversationen, so wird man stracks unter +die unruhigen Köpfe gesetzt: und beydes weiss man sodann +sehr leicht mit Bösewicht synonym zu machen. Wer den Stempel +<!-- pb n="VI" facs="#f0016"/ --> hat schlägt die Münze. Wer +für sich noch etwas hofft oder fürchtet, darf die Fühlhörner +nicht aus seiner Schale hervorbringen. Man sollte nie sagen, +die Fürsten oder ihre Minister sind schlecht, wie man es so +oft hört und liest; sondern, hier +handelt <span class="spaced">dieser</span> Fürst ungerecht, +widersprechend, grausam; und hier +handelt <span class="spaced">dieser</span> Minister als +isolirter Plusmacher und Volkspeiniger. +Dergleichen <span class="bold">P</span>ersonalitäten sind +nothwendige heilsame Wagstücke für die Menschheit, und wenn +sie von allen Regierungen +als <span class="bold">P</span>asquille gebrandmarkt würden. +Das Ganze besteht nur aus Personalitäten, guten und +schlechten. Die Sklaven haben Tyrannen gemacht, der Blödsinn +und Eigennutz haben +die <span class="bold">P</span>rivilegien erschaffen, und +Schwachheit und <span class="bold">L</span>eidenschaft +verewigen beydes. Sobald +die <span class="bold">K</span>önige den Muth haben werden +sich zur allgemeinen Gerechtigkeit zu erheben, werden sie +ihre eigene Sicherheit gründen und das Glück ihrer Völker +durch Freyheit nothwendig machen. Aber dazu gehört mehr als +Schlachten gewinnen. Bis dahin wird und muss es jedem +rechtschaffenen Manne von Sinn und Entschlossenheit erlaubt +seyn zu glauben und +<!-- pb n="VII" facs="#f0017"/ --> +zu sagen, dass alter Sauerteig alter Sauerteig +sey.</p> + +<p>Man findet es vielleicht sonderbar, dass ein Mann, der +zwey mal gegen die Freyheit zu Felde zog, einen solchen Ton +führt. Die Enträthselung wäre nicht schwer. Das Schicksal +hat mich gestossen. Ich bin nicht hartnäckig genug, meine +eigene Meinung stürmisch gegen Millionen durchsetzen zu +wollen: aber ich habe Selbstständigkeit genug, sie vor +Millionen und ihren Ersten und Letzten nicht zu +verläugnen.</p> + +<p>Einige Männer, deren Namen die Nation mit Achtung nennt, +haben mich aufgefodert etwas öffentlich über mein Leben und +meine successive Bildung zu sagen: ich kann mich aber nicht +dazu entschliessen. In meiner Jugend war es der Kampf eines +jungen Menschen mit seinen Umständen und seinen +Inkonsequenzen; als ich Mann ward, waren meine +Verflechtungen zuweilen so sonderbarer Art, dass ich nicht +immer ihre Erinnerung mit Vergnügen zurückrufe. Wer sagt +gern, ich war ein Thor, um durch sein Beyspiel einige längst +bekannte Wahrheiten eindringlicher zu machen? +<!-- pb n="VIII" facs="#f0018"/ --> Als ich als ein junger +Mensch von achtzehn Jahren als theologischer Pflegling von +der Akademie in die Welt hinein lief, fand man bey +Untersuchung, dass ich keinen Schulfreund erstochen, kein +Mädchen in den Klagestand gesetzt und keine Schulden +hinterlassen, dass ich sogar die wenigen Thaler Schulden den +Tag vor der Verschwindung noch bezahlt hatte; und man konnte +nun den Grund der Entfernung durchaus nicht entdecken und +hielt mich für melancholisch verirrt, und liess mich sogar +in dieser Voraussetzung so schonend als möglich zur +Nachsuchung in öffentliche Blätter sezzen. Dass ein Student +den Tag vorher ehe er durchgeht, seine Schulden bezahlt, +schien ein starker Beweis des Wahnsinns. Ich überlasse den +Philantropen die Betrachtung über diesen Schluss, der eine +sehr schlimme Meinung von der Sittlichkeit unserer Jugend +verräth. Dem Psychologen wird das Räthsel erklärt seyn, wenn +ich ihm sage, dass die Gesinnungen, die ich seitdem hier und +da und vorzüglich in folgender Erzählung geäussert habe, +schon damals alle lebendig in meiner Seele lagen, als ich +mit neun Thalern und dem Tacitus in der Ta<!-- pb n="IX" facs="#f0019"/ -->sche +auf und davon ging. Was sollte ein Dorfpfarrer mit diesen +Gährungen? Bey einem Kosmopoliten können sie auf einem +festen Grunde von Moralität wohl noch etwas Gutes wirken. +Der Sturm wird bey mir nie so hoch, dass er mich von der +Base, auf welcher ich als vernünftiger rechtlicher Mann +stehen muss, herunterwürfe. Meine meisten Schicksale lagen +in den Verhältnissen meines Lebens; und der letzte Gang nach +Sicilien war vielleicht der erste ganz freye Entschluss von +einiger Bedeutung.</p> + +<p>Man hat mich getadelt, dass ich unstet und flüchtig sey: +man that mir Unrecht. Die Umstände trieben mich, und es +hielt mich keine höhere Pflicht. Dass ich einige Jahre über +dem Druck von Klopstocks Oden und Messiade sass, ist wohl +nicht eines Flüchtlings Sache. Man wirft mir vor, dass ich +kein Amt suche. Zu vielen Aemtern fühle ich mich untauglich; +und es gehört zu meinen Grundsätzen, die sich nicht auf +lächerlichen Stolz gründen, dass ich glaube, der Staat müsse +Männer suchen für seine Aemter. Es ist mir also lieb, dass +ich Ursache habe zu denken, es müssen in meinem Vaterlande +dreyssig tausend Geschicktere und +<!-- pb n="X" facs="#f0020"/ --> Bessere seyn als ich. Wäre +ich Minister, ich würde höchst wahrscheinlich selten einem +Manne ein Amt geben, der es suchte. Das werden Viele für +Grille halten; ich nicht. Wenn ich Isolierter nicht strenge +nach meinen Grundsätzen handeln will, wer soll es sonst?</p> + +<p>Man hat es gemissbilligt, dass ich den Russischen Dienst +verlassen habe. Ich kam durch Zufall hin, und durch Zufall +weg. Ich bin schlecht belohnt worden; das ist wahrscheinlich +auch Zufall: und ich bin noch zu gesund an Leib und Seele, +um mir darüber eine Suppe verderben zu lassen, In der +wichtigsten Periode, der Krise mit Polen, habe ich in Grodno +und Warschau die deutsche und französische diplomatische +Korrespondanz zwischen dem General Igelström, Pototzky, +Möllendorf und den andern preussischen und russischen +Generalen besorgt, weil eben kein anderer Offizier im +Hauptquartier war, der so viel mit der Feder arbeiten +konnte. — Sie sind noch nicht verpflichtet, sagte +Igelström zu mir, als er mir den ersten Brief von Möllendorf +gab, Sie haben noch nicht geschworen. Der ehrliche Mann, +antwortete ich, kennt und thut seine +<!-- pb n="XI" facs="#f0021"/ --> Pflicht ohne Eid, und der +Schurke wird dadurch nicht gehalten. — Man hat alten +Staabsoffizieren Dinge von grosser Bedeutung abgenommen und +sie mir übergeben, als Möllendorf noch die Piliza zur Gränze +forderte, und als man nachher russisch die Dietinen in Polen +nach ganz eigenen Regeln ordnete und leitete. Igelström, +Friesel und ich waren einige Zeit die Einzigen, die von dem +ganzen Plane unterrichtet waren. Ich habe gearbeitet Tag und +Nacht, bis zur letzten Stunde als der erste Kanonenschuss +unter meinem Fenster fiel: und mich däucht, dass ich dann +auch als Soldat meine Schuldigkeit nicht versäumte, wenn ich +gleich während des langen Feuers kartätschensicher zuweilen +in einer Mauernische neben den Grenadieren sass und in +meinem Taschenhomer blätterte. Zu den russischen Arbeiten +hatte der General Dutzende; zu den deutschen und +französischen, die der Lage der Sachen nach nicht unwichtig +seyn konnten, niemand als mich: das wird Igelström selbst, +Apraxin, Pistor, Bauer und andere bezeugen. Als der Franzose +Sion ankam, waren die wichtigsten Geschäfte schon gethan. +Dafür wurde mir +<!-- pb n="XII" facs="#f0022"/ --> denn dann und wann ein +Geiger vorgezogen, der einem der Subows etwas vorgespielt +hatte. Das ist auch wohl anderwärts nicht ungewöhnlich. Ich +hatte das Schicksal gefangen zu werden. Der General +Igelström schickte mich nach Beendigung der ganzen +Geschichte mit einem schwer verwundeten jungen Manne, der +mein Freund und dessen Vater der seinige war, nach Italien, +damit der Kranke dort die Bäder in Pisa brauchen sollte. Wir +konnten nicht hin, weil die Franzosen alles besetzt hatten. +Die Kaiserin starb; ich konnte unmöglich an dem Tage zurück +auf meinem Posten seyn, den Paul in seiner Ukase bestimmt +hatte, und wurde aus dem Dienst geschlossen. Man hat in +Russland wenig schöne Humanität bey dem Anblick auf das +flache Land. Schon vorher war ich halb entschlossen nicht +zurückzugehen, und war es nun ganz. Der Kaiser gab mir auf +meine sehr freymüthige Vorstellung an ihn selbst, da ich +durchaus keinen Dienstfehler gemacht hatte, endlich den +förmlichen ehrenvollen Abschied, den mir der General Pahlen +zuschickte. Es ist sonst Gewohnheit +<!-- pb n="XIII" facs="#f0023"/ --> in Russland, Offizieren, +die einige Dienste geleistet haben, ihren Gehalt zu lassen; +ich erhielt nichts. Das war vielleicht so Geist der Periode, +und es würde Schwachheit von mir seyn mich darüber zu +ärgern. Wenn ich jetzt etwas in Anregung bringen wollte, +würde man die Sache für längst antiquirt halten und der Sinn +des Resultats würde heissen: Wir Löwen haben gejagt. — +Ich will mir den Nachsatz ersparen. Wenn ich nicht einige +Kenntnisse, etwas Lebensphilosophie und viel Genügsamkeit +hätte, könnte ich den Rock des Kaisers um ein Stückchen Brot +im deutschen Vaterlande umher tragen.</p> + +<p>Ich habe mich in meinem Leben nie erniedriget, um etwas +zu bitten das ich nicht verdient hatte; und ich will auch +nicht einmal immer bitten, was ich verdiente. Es sind in der +Welt viele Mittel ehrlich zu leben: und wenn keines mehr +ist, finden sich doch einige, nicht mehr zu leben. Wer nach +reiner Ueberzeugung seine Pflicht gethan hat, darf sich am +Ende, wenn ihn die Kräfte verlassen, nicht schämen +abzutreten. +<!-- pb n="XIV" facs="#f0024"/ --> +Auf Billigung der Menschen muss man nicht +rechnen. Sie errichten heute Ehrensäulen +und brauchen morgen den Ostracismus für +den nehmlichen Mann und für die nehmliche +That.</p> + +<p>Wenn ich vielleicht noch vierzig Jahre gelebt habe und +dann nichts mehr zu thun finde, kann es wohl noch eine +kleine Ausflucht werden, die Winkel meines Gedächtnisses +aufzustäuben, und meine Geschichte zur Epanorthose der +Jüngern hervor zu suchen. Jetzt will ich leben, und gut und +ruhig leben, so gut und ruhig man ohne einen Pfennig Vorrath +leben kann. Es wird gewiss gehen wie es bisher gegangen ist: +denn ich habe keine Ansprüche, keine Furcht und keine +Hoffnung.</p> + +<p>Was ich hier in meiner Reiseerzählung gebe, wirst Du, +lieber Leser, schon zu sichten wissen. Ich stehe für alles +was ich selbst gesehen habe, in so fern ich meinen Ansichten +und Einsichten trauen darf: und ich habe nichts vorgetragen, +was ich nicht von ziemlich glaubwürdigen Männern wiederholt +<!-- pb n="XV" facs="#f0025"/ --> gehört hätte. Wenn ich +über politische Dinge etwas freymüthig und warm gewesen bin, +so glaube ich, dass diese Freymüthigkeit und Wärme dem Manne +ziemt; sie mag nun einigen gefallen oder nicht. Ich bin +übrigens ein so ruhiger Bürger, als man vielleicht in dem +ganzen Meissnischen Kreise kaum einen Thorschreiber hat. +Manches ist jetzt weiter gediehen und gekommen, wie es wohl +zu sehen war, ohne eben besser geworden zu seyn. Machte ich +die Ronde jetzt, ich würde wahrscheinlich mehr zu erzählen +haben, und Belege zu meinen vorigen Meinungen geben +können.</p> + +<p>Freylich möchte ich gern ein Buch gemacht haben, das auch +ästhetischen Werth zeigte; aber Charakteristik und Wahrheit +würde durch ängstliche Glättung zu sehr leiden. Niemand kann +die Sachen und sich selbst besser geben, als beyde sind. +Ich fühle sehr wohl, dass diese Bogen keine Lektüre für +Toiletten seyn können. Dazu müsste vieles heraus und vieles +hinein, und vieles müsste anders seyn. Wenn aber hier und da +<!-- pb n="XVI" facs="#f0026"/ --> ein guter, unbefangener, +rechtlicher, entschlossener Mann einige Gedanken für sich +und andere brauchen kann, so soll mir die Erinnerung Freude +machen.</p> + +<div class="abspann">Leipzig 1803.</div> +<div class="sign"><span class="right">Seume.</span></div> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> |