Erich Mühsam - Wüste - Krater - Wolken

Erich Mühsam ca. 1924Erich Mühsam gehört zu den Dichtern, die Anfang des 20. Jahrhunderts in ihren Gedichten neue Töne anschlagen, Er breitet sein Selbstmitleid aus: »Und wieder tritt das Leben mir / Mit vorgestelltem Fuß entgegen«. Er schildert unverhohlen sein Begehren: »Ich packe dich — und meine Gier / Frißt sich an deiner Reinheit satt«. Und er ergreift Partei in den politischen Grabenkämpfen seiner Zeit, wenn er sein Spottgedicht »Der Revoluzzer« der »deutschen Sozialdemokratie« widmet. Mit solchen Versen fand Mühsam natürlich keinen Eingang in Poesie-Alben und Lesebücher.

Zudem engagierte sich Mühsam neben den literarischen Arbeiten als politischer Aktivist: Er arbeitete als Redakteur anarchistischer Zeitschriften, beteiligte sich in der Münchener Räterepublik und unterstützte nach der Entlassung aus der Festungshaft in den 20er Jahren die von der KPD ins Leben gerufene Rote Hilfe. Vor allem war Mühsam wohl auch ein Idealist, der den Vertretern der Reinen Lehre suspekt war: Die Kommunisten verdächtigten ihn des Anarchismus und die Anarchisten schlossen ihn wegen Nähe zu den Stalinisten aus.

Die Gedichte in »Wüste - Krater - Wolken« unterhalten mit einer Vielfalt an Tonlagen - von selbstironisch und derb, über verzaubert und berauscht bis hin zu verdrossen und sarkastisch. Ihnen fehlt aber die mit Mühsams politischem Engagement einher gehende Bereitschaft, sich zwischen die Stühle zu setzen. Mühsam bleibt eher dem Lied verhaftet und im Gegensatz zu seinen expressionistischen Kollegen experimentiert er weder formal noch sprachlich. Vielleicht sorgt die Hinwendung zum Publikum, die zumindest in einem Teil der Gedichte durchscheint, dafür, dem Liedhaften den Vorzug zu geben und Sprache und Form nicht in Frage zu stellen. Möglicherweise schränkt auch die politische Motivation, die den Text als Vehikel für die Botschaft betrachtet, die Experimentierfreude ein. Wirkungsvoll, das stellt Mühsam mit unerschütterlichem Humor fest, ist die Überzeugungsarbeit durch Text trotzdem nicht:

»Ich stoß ins Horn. Noch einmal. — Doch ich staune
Die Menschen lachen, die ich wecken wollte,
Als ob ein Mißton in die Lüfte rollte. —
Es muß ein Sandkorn sein in der Posaune.«

»Wüste - Krater - Wolken« ergänzt die bereits früher erschienenen Sammlungen »Wüste« (1904) und »Der Krater« (1909) um die bis 1913 verfassten Gedichte im Band »Wolken«. Den hier angebotenen Fassungen als Online-Version oder E-Book liegt das Digitalisat des Buches zugrunde, das 1914 bei Paul Cassirer in Berlin erschienen ist. Die Staatsbibliothek Berlin bietet das Digitalisat der Ausgabe samt OCR-Fassung an.

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Bildnachweis: Stempel auf der Rückseite des Fotos: "PHOT-BERICHT / H. HOFFMANN / MÜNCHEN / Schellingstraße 50" - National Library of Israel, Schwadron collection  Lizenz: CC BY 3.0
Erich Mühsam, ca. 1924