Jakob van Hoddis - Weltende

Jakob van Hoddis - Weltende - TitelDieses Zitat von ChatGPT führt in die Irre: »Das Gedicht ›Weltende‹ von Jakob van Hoddis wird oft als bedeutendes Werk des Expressionismus betrachtet, weil es die Ängste, Zweifel und das Gefühl der Verzweiflung ausdrückt, die viele Menschen in der unruhigen Zeit nach dem Ersten Weltkrieg empfanden.« Zwar erschien die hier vorliegende Sammlung 1918, aber das namensgebende Gedicht hatte van Hoddis bereits 1911 veröffentlicht. Doch die sachlichen Fehler des Chatbots sind deutlich weniger interessant als seine Phrasen.

Da der Bot sich an statistisch hergestellte Zusammenhänge hält, die mit der Wahrscheinlichkeit des gemeinsamen Auftretens von Worten beginnen, sind überraschende Wendungen kaum zu erwarten. Statt dessen macht sich eine Tendenz bemerkbar, den Trampelpfad des Diskurses einzuschlagen. Wenn man unterstellt, das Programm habe eine Vielzahl von Texten zum Thema Expressionismus verwertet, dann werden seine Antworten vor allem in dem bestehen, was den Texten gemeinsam ist.

Die Frage, welche Bedeutung das Gedicht ›Weltende‹ hat, beantwortet ChatGPT daher mit Allgemeinplätzen. Das heißt, der Großteil der dem Programm einverleibten Texte bringt den Expressionismus tatsächlich mit Angst, Zweifel, Verzweiflung und dem Ersten Weltkrieg zusammen. Allerdings macht sich der Expressionismus in Malerei und Literatur mindestens ab 1910 bemerkbar. Der falsch hergestellte Zusammenhang von Expressionismus und Krieg stammt also nicht von der Software. Die arbeitet vermutlich sogar nach simpler Logik: Für die Menge der expressionistischen Literatur gilt (angeblich), dass sie mit Angst, Zweifel, Verzweiflung und Erstem Weltkrieg zusammenhängt. Also gilt dieser Zusammenhang auch für das Element der expressionistischen Literatur: Jakob van Hoddis.

Zudem steht der Text des Gedichts selbst quer zu den im Netz vorherrschenden Klischees zum Expressionismus: Wenn die Dachdecker abstürzen und dabei entzwei gehen, weckt das eher kindlich absurde Assoziationen. Und wenn die Meere an Land hupfen, wirkt die Formulierung vor allem komisch. Zwar können auch Absurdität und Komik Verzweiflung transportieren, aber in »Weltende« distanziert Hoddis das Beschriebene (»liest man«) oder verbindet es mit beiläufiger Alltäglichkeit (»Die meisten Menschen haben einen Schnupfen«).

Dementsprechend lässt sich das Geplapper des Chatbots vor allem als Aufforderung begreifen, auch hundert Jahre nach der Veröffentlichung die Vermittler zu meiden. Es ist viel unterhaltsamer, sich den Texten von Jakob van Hoddis direkt auszusetzen, weil so der Wortjongleur mit seiner Phantasie und seinem Humor zur Geltung kommt.

 

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