Die Situation wirkt paradox: eigentlich sollte es von E-Books nur so wimmeln. Da in Deutschland die Schriften eines Autors 70 Jahre nach dessen Tod gemeinfrei werden, existiert genügend Stoff und mit dem E-Book-Standard epub existiert auch ein vergleichsweise simples Format für die Veröffentlichung. Tatsächlich aber scheint nichts schwieriger zu sein, als ein vernünftiges E-Book zu finden.
Zu Heinrich von Kleist, um nur ein Beispiel zu nehmen, führt das vermessen angelegte Projekt »Openlibrary« (https://openlibrary.org/) - eine Seite für jedes Buch, das je veröffentlicht wurde - reichlich Einträge auf: Sämtliche Werke, Gesammelte Werke mit und ohne Briefe und das von 1810 bis 1910 in mehreren Auflagen und Ausgaben. Eine ganze Reihe dieser Einträge sind auch mit dem Hinweis versehen: »ebook«. Leider bestehen die E-Books aus Texten wie diesem: »inbem er unter mand^erfei ©ebanfen tt>ieber §u feinen ^Papieren griff«. Und hier handelt es sich noch um eine vergleichsweise lesbare Stelle. Zu verdanken ist dieser Zeichensalat unter anderem Google; die Firma hatte 2004/2005 angefangen Bücher zu digitalisieren. Mit englischen Büchern ist das Projekt ziemlich weit gekommen, an der Frakturschrift aber, die in Deutschland bis ins 20. Jahrhundert hinein erste Wahl beim Buchdruck war, scheitert die automatische Texterkennung.
Von Google unter Druck gesetzt, probierten dann auch einige Bibliotheken, ein paar Angebote ins Netz zu stellen. Leider scheint man dort, wie etwa beim Göttinger Digitalisierungszentrum, der Auffassung zu sein, ein Buch sei digitalisiert, wenn Scans der einzelnen Seiten abrufbar sind. Aber wozu soll ein abfotografiertes Buch gut sein? In der Regel interessiert der Text und nicht die Arbeit der Setzer. Mit der Verwechslung von Text und Buch stehen die deutschen Bibliothekare allerdings nicht alleine da. Im Rahmen des Projekts »Gallica« bleiben die Franzosen ebenfalls nach dem ersten Schritt stehen.
Natürlich lässt sich trotz dieser Widrigkeiten eine lesbare Ausgabe von Kleists Gesammelten Werken auftreiben. Allerdings gibt diese Ausgabe keine Auskunft darüber, wo sie herkommt, wie es um ihre urheberrechtliche Situation bestellt ist, und auf welcher Grundlage sie entstanden ist. Der Textgestalt des »Erdbebens in Chili« zufolge könnte es sich um die Ausgabe von Helmut Sembdner handeln, die zuerst 1952 und dann über 40 Jahre in immer wieder überarbeiteten Neuauflagen erschienen ist. Damit wäre diese Fassung nicht gemeinfrei sondern eine Raubkopie.
Verlässliche, zitierfähige elektronische Texte sind derzeit eher Zufallsfunde wie beim Deutschen Textarchiv. Dort liegen korrekturgelesene Texte in verschiedenen Formaten vor, die als Ausgangspunkt für den Wandel in andere Formate dienen können. Aber das DTA strebt leider nicht nach Vollständigkeit und zeigt daher vor allem auf, was andere Projekte, wie etwa die »Deutsche Digitale Bibliothek«, vollständig vermissen lassen.
Und so bleiben vor allem Fragezeichen:
- Wie sehen die Voraussetzungen für zitierfähige elektronische Texte aus?
- Wie soll das Digitalisat aufbereitet werden?
- Reicht der Epub-Standard aus?
- Muss eine Beziehung zwischen Buch und E-Book bestehen und wie hätte sie auszusehen?
- ...
Gegen diesen Missstand bleibt nur die private Notwehr. Ein paar Ansätze dazu gibt es bereits, wie etwa
http://www.digbib.org/
http://de.wikisource.org/
Hier folgen noch ein paar Bausteine.