Wenn wir eine Münze werfen, wählen wir Kopf oder Zahl. Hier werfen wir keine Münze, fragen aber ähnlich: Frage oder Antwort? Gibt es diese Wahl überhaupt? Wie fiele sie aus?
Der gängige Sprachgebrauch behandelt Frage und Antwort höchst unterschiedlich. Denn die Fragen ergeben sich, sie stehen im Raum, wir stolpern über sie – kurz gefasst, sie stellen sich. Dagegen müssen wir die Antworten suchen oder finden oder sie uns gar erarbeiten. Während die Fragen uns wie Kastenteufel ins Gesicht zu springen scheinen, kostet es Mühe, zu den passenden Antworten zu gelangen.
Trotzdem fällt es leicht, ein Übergewicht an Antworten festzustellen. In den Medien erweckt die Politik häufig genug den Eindruck, Antworten parat zu haben, noch bevor irgend jemand das Problem verstanden hat. In Buchläden liegen keine Fragenkataloge zum Kauf aus, statt dessen stapeln sich dort Ratgeber, die Antworten versprechen: »In 14 Tagen zum Nichtraucher«, »Zehn Schritte zum Erfolg«, »Richtig gut schreiben«. Antworten scheinen wohlfeil zu sein und sind überall anzutreffen. Die dazu gehörigen Fragen tauchen dagegen selten auf.
Das Phänomen der Antworten, denen die Fragen abhanden gekommen sind, existiert schon länger. So entstehen in den Schöpfungsgeschichten Menschen aus den Tränen des Gottes, werden aus Lehm geformt, oder wachsen aus der Saat von Drachenzähnen empor. Dabei lässt sich nur erahnen, wie die ursprünglichen Fragen, zu denen nur die Antworten überliefert sind, gelautet haben: »Woher kommt der Mensch?«, »Was zeichnet ihn aus?« Und dabei vernachlässigen wir die legitimen anderen: »Ist die Menschheit wirklich zum Heulen?«, »Wie hätte der Mensch ausgesehen, hätte es schon eine Töpferscheibe gegeben?«, »Welcher Zusammenhang besteht zwischen einem Rauch und Feuer speienden Drachen und einem Gift und Galle spuckenden?«
Mit der Zeit scheinen die Antworten die Fragen zu überlagern und lassen so nicht nur die Fragen sondern auch noch das anfängliche Rätseln, welche Antwort wohl passen könnte, in Vergessenheit geraten. Übrig bleiben Erzählungen und Gebräuche die einem aktuellen »Woher?« keinen Hinweis mehr auf ihren Ursprung geben können. Dann scheint es fraglos schon immer so gewesen zu sein.
Gelegentlich verwenden auch zeitgenössische Antwortenhöker altbewährte Mechanismen, um ihre Antworten vor Fragen in Schutz zu nehmen. Dann fallen die Formulierungen wolkig aus und vermeiden Genauigkeit, um den Geltungsbereich der Antwort zu erweitern und keine Ansatzpunkte für Fragen zu liefern. Zur Not sparen die Antworten auch Aspekte aus und tabuisieren andere.
Zur Eigenart im Verhältnis von Frage und Antwort gehört auch die Annahme, es gebe eine Antwort. Obwohl schon die Alltagserfahrung lehrt, dass auf die Frage: »Schläfst Du?« eher keine positive Antwort folgt und andere Fragen gar nicht sinnvoll gestellt werden können, bleibt die Erwartung, auf eine Frage eine Antwort zu erhalten, bestehen. Vielleicht wirkt hier die Erfahrung der Kindheit nach, von Erwachsenen auf jede Frage eine Antwort zu bekommen. Später lässt auch die Schule meist nur noch eine Frage offen: Was passiert bei der Division durch Null? Fast scheint ein unwillkürlicher Drang am Werk zu sein, nach Möglichkeit keine Frage unbeantwortet zu lassen. Ob die Antwort gültig ist (»Weihnachtsgeschenke bringt der Weihnachtsmann«) oder wie es um ihre Halbwertzeit bestellt ist (»die Welt ist eine Scheibe«), bleibt außen vor.
In dem Missverhältnis von Frage und Antwort, drückt sich eine erstaunliche Scheu vor offenen Fragen aus. Fast scheint es das Wichtigste zu sein, die durch offene Fragen markierten Leerstellen so schnell wie möglich zu schließen. Dadurch reduziert sich das Hin und Her von Frage und Antwort auf einen wenig ergiebigen einfachen Austausch. Die Frage, die sich aus einer verwunderten oder genaueren Betrachtung ergibt, und den Auftakt zu einer Auseinandersetzung bilden kann, findet so häufig genug ein frühes Ende, indem die Antwort einen Punkt setzt.
Eigentlich sollte sich die Illusion einer endgültigen Antwort lange verflüchtigt haben, doch die Vorstellung einer abschließenden Antwort scheint so anziehend zu sein, dass die naheliegende Sichtweise eines fortlaufenden Wechsels von Frage und Antwort es schwer hat, sich durchzusetzen. Dabei dürfte eine Antwort, die das Fragen nicht zum Schweigen bringt, sondern die Auseinandersetzung fördert, wertvoller sein, als eine, die sich als der Weisheit letzter Schluss ausgibt.
So gesehen können wir aus der Frage auch einen Maßstab für eine Antwort gewinnen. Der Maßstab orientierte sich daran, inwieweit eine Antwort Ansatzpunkte für Fragen bietet, oder gar weitere Fragen mitbringt. Eine Antwort wäre demnach nur so gut, wie die Fragen, die sie ermöglicht.