Saßen einander gegenüber zwei alte Herren, der Kugelige mit dem kahlen Schädel rollte den erkalteten Stumpen seiner Zigarre zwischen den Lippen, den Andern mit unverhohlener Skepsis musternd. Dem saß der Elbsegler zurück geschoben auf dem sich bäumenden Schopf grauer Haare, der sprach konzentriert, die Stimme vom Tabak geteert, vom Alkohol gebeizt, leicht brüchig; die übrig gebliebenen Finger der von der Arbeit gezeichneten Hände ruhten auf dem Tisch, selten setzte er Akzente mit seinen Händen, denen die Schwielen abhanden gekommen und statt dessen vom Alter gefleckt waren; er nutzte sie mehr wie ein Taschenspieler, um die Aufmerksamkeit auf sie zu lenken und belustigt den wild wandernden Stumpen seines Zuhörers zu betrachten:
Eine Zeit lang war ich auf einem Trampschiff in der Karibik unterwegs. Einmal haben wir in Tampa Maschinenteile übernommen, zumindest war das Zeug so deklariert, aber der Kapitän kannte sich aus mit Frachtpapieren und Hafenbehörden und nahm es gegen einen Aufschlag nicht so genau. Schwer genug war die Ladung, und wir hingen tief im Wasser, als wir mit Ziel Cartagena ablegten.
In einem der vorigen Häfen hatten wir einen neuen Bootsmann an Bord genommen. Doch auch nach Wochen hatte die Mannschaft sich noch nicht an ihn gewöhnt. Er rauchte nicht, er trank nicht, er hielt sich selbst noch beim Essen zurück und erweckte immer und überall einen beherrschten Eindruck. Er war als Vorgesetzter bei uns nicht beliebt, da er uns bei der Arbeit nichts nachsah und oft pedantisch nachhakte. Aber er verstand sein Handwerk, und so hörte die Mannschaft auf ihn.
Es ist ein enges Leben an Bord, und wenn du nicht gerade Maschinist bist und deine Tage unter Deck im Dieseldunst und Dröhnen der Maschinen verbringst, triffst du nicht nur bei der Arbeit immer wieder dieselben Kollegen, du frühstückst auch mit ihnen, stehst mit ihnen an der Kombüse Schlange zum Mittag fassen und klönst mit ihnen nach der Arbeit. Durch die Enge hätte es auch der Bootsmann früher oder später nicht vermeiden können, sich mit jemandem anzufreunden, doch er hatte es schwerer, da er nicht zur Mannschaft gehörte, aber auch kein Offizier war. Zudem stand er sich mit seiner hölzernen, zurückhaltenden Art selbst im Weg. Und so saß er sogar auf unserem rotten Kahn zwischen allen Stühlen, die gleiche Distanz zu uns, wie die Offiziere zu ihm wahrend.
Und noch etwas schied ihn von uns: Wenn du anheuerst, dann weißt du, wie lange es bis zur Rückkehr dauern kann. Auf der Hinfahrt sprichst du nüchtern, weil die Erinnerung noch frisch ist, von zu Hause, erzählst von Freundin oder Frau, vielleicht von den Kindern, und auf der Hälfte der Reise, wenn du vom Schiff runter kommst, besorgst du Mitbringsel. Auf der Rückfahrt dann ist die Nüchternheit verflogen, du wünschst, du hättest doch noch dieses Tuch oder jene Schatulle vom Ausflug an Land mitgebracht, und träumst schon davon, wie sie dich an der Pier abholen. Und wenn du niemanden hast, der dich verabschiedet und auf dich wartet, dann hörst du den anderen zu, erzählst von Freunden und gehst an Land, um dich zu amüsieren und zu feiern, und vielleicht findest du ja eine.
Aber das war nichts für unseren Bootsmann, der in der Mannschaftsmesse abseits saß, und sich nicht beteiligte, nichts erzählte und nicht zuhörte, sondern die Nase ins Buch steckte. Wir erfuhren nicht, ob er Frau und Kinder hatte oder was er mit seinen Freunden anstellte, und wie sich denken lässt, blieb er auch unseren Feiern fern. Wenn er an Land ging, nutzte er die Gelegenheit, wie es hieß, um spazieren zu gehen. Wir spekulierten, er würde genauso verhalten durch die Straßen gehen, wie er es an Deck tat, wenn er unsere Arbeit kontrollierte und sich nicht aufregte, keine schlechte Laune zeigte, keine Freude und keine Enttäuschung. Wir stellten ihn uns vor, wie er an Land, die Hände auf dem Rücken, gemessenen Schritts, die Menschen, die Läden, das Treiben auf den Straßen obenhin streifte, und wie irritiert er auf die Gerüche und den Lärm reagierte, weil er dazu keinen Abstand wahren konnte.
Schließlich fanden wir uns mit ihm ab und hoben vor allem seine Verlässlichkeit hervor, die es einfach machte, an ihm vorbei zu sehen. Und trotzdem wehte uns jedes Mal, wenn wir auf den Bootsmann zu sprechen kamen, ein Unbehagen an. Einen Abend saßen wir noch in der Messe beisammen und hatten ein paar olle Kamellen zum Bootsmann wieder aufgewärmt und nichts Neues zusammengetragen, als der Maschinist, der mit dem Kopf auf dem Tisch lag, weil er uns einige Flaschen voraus war, wie ein Kastenteufel aus seinem Schnarchen auffuhr. Das Gesicht, schwarz gefleckt von Öl, wedelte er uns mit seinem Arm eine Dieselfahne zu und orakelte mit einer Stimme, die noch schwer am Schlaf trug: »Der kennt die Zeichen nicht.« Wir bezogen sein Raunen auf seinen Traum, aber der Maschinist, der gar nicht wusste, was er von sich gegeben hatte, konnte sich partout an keinen Traum erinnern, sondern nur an Fetzen unserer Unterhaltung. Einer aus der Runde streifte den Maschinisten mit einem scheuen Blick, murmelte etwas vom zweiten Gesicht und säte seine Überzeugung, er könne nur den Bootsmann gemeint haben.
Am nächsten Tag gerieten wir in einen Schwarm fliegender Fische, was in der Gegend nicht weiter ungewöhnlich ist, doch dieses Mal landete eine ganze Menge des Geflügels auf Deck, wahrscheinlich weil wir so tief im Wasser lagen. Während wir die Außenborder wieder ins Wasser warfen und die beunruhigende Erinnerung an unseren Tiefgang in uns aufstieg. kam auch der Bootsmann vorbei, hob eine der nach Wasser schnappenden Kreaturen auf und betrachtete sie eingehend. Dann erschlug er das Tier an der Reling und spazierte fröhlich pfeifend damit nach achtern, wo er, wie der Smutje später erzählte, den Fisch wog, vermaß und fotografierte mit angelegten und ausgebreiteten Flügelflossen.
Der Sturm, den der Bootsmann herbeigepfiffen hatte, traf uns noch in der Nacht. Da ich zur Hundewache eingeteilt war, bekam ich mit, wie der Wind mit ein paar Böen übte, die er über uns hinweg schickte. Nachdem er die See spürbar aufgewühlt hatte und sich seiner Drohung sicher war, zog er sich zurück für den großen Auftritt. Mit vereinzelten, hörbar platschenden Tropfen stellte sich der Regen ein. Dann fiel der Sturm über uns her, und morgens um vier schlief niemand mehr an Bord, so sehr stampfte das Schiff. Der anbrechende Tag hüllte sich in gelbgrau, die See schäumte trübgrün. Brecher um Brecher rollte auf uns zu, schulterte unseren schwerfälligen Kahn, so dass der Bug ins schweflige Nichts ragte, und ließ uns seinen Buckel wieder herunterrutschen, als solle das Schiff zum Grund vorstoßen. Unseren Tiefgang nutzten Sturzseen und schlugen über dem Bug zusammen, das Wasser schoss über Deck, riss mit, was nicht fest war, und stürzte durch die Speigatten zurück in die See. Unter dem Tosen des Windes ächzte, quietschte, stöhnte der Kasten mit jeder Naht und jeder Niete.
Im bleichen Licht kämpften sich an Deck drei gelbe Runen - Kollegen in ihrem Ölzeug, schlierenverzerrt in den Scheiben der Brücke - in Richtung Bug vor. Sie sollten sich der Ladung vergewissern und, wo es nottat, sie zusätzlich laschen. Durch das Fernglas verfolgte ich, wie sie, sich teilweise mit Haken und Leinen absichernd, von einer Luke zur nächsten vorkämpften. Schräg nach vorn gegen den Wind gelehnt zog sich einer Hand über Hand an der Reling weiter, während die beiden anderen an den Lukendeckeln Halt suchten. Darüber hätte ich beinahe meine Müdigkeit vergessen, aber dann schickte mich der Kapitän, der eine Nase für so was hatte, zum Ausruhen, weil das Schlimmste überstanden sei.
Als ich ein paar Stunden später wieder an Deck kam, hatte der Orkan unseren Pott als Spielball ausgemustert und war weiter gezogen. Immer noch fegten Wolken über den Himmel, aber die Wellen hatten im immer wieder durchbrechenden Sonnenlicht, trotz der Schaumkronen, mit denen sie einher rauschten, ihren Überschwang verloren. Der versöhnliche Anblick hätte begleitet sein müssen vom Klopfen der Hämmer auf den Roststellen und von Wortfetzen, die der Wind entwendet hatte, aber das Schiff stampfte wie ausgestorben durch die See. Die gespenstische Leere erschreckte mich und trieb meinen Puls nach oben, der auch den Gedanken den Takt vorgab, in dem sie stolperten. Doch die Rettungsboote hingen in den Davits, vor dem Store standen Farbeimer, und auf der Brücke war auch der Schatten des Rudergängers zu erkennen. Ich fand die Mannschaft schließlich in der Messe, verlegen und betreten, darum bemüht, sich Trauer abzuringen: Der Bootsmann war nicht mehr an Bord.
Die zwei, die mit ihm während des Sturms an Deck gewesen waren, beteuerten, wahrscheinlich zum wiederholten Mal, sie hätten nichts tun können und erzählten zum Beweis auch einmal mehr, was passiert war. Sie hatten sich alle drei, jeder für sich, gegen den Wind und das Wasser vorgearbeitet, und sich, wo es möglich war, auch angeseilt. Nur zwischen den Luken gab es kurze Abschnitte ohne Halt, bei denen sie umlegen mussten. Um den Zwischenraum zu überbrücken, hatten sie den Moment abgepasst, nach dem das Wasser an ihnen vorbei geschossen war, und dann den entscheidenden Schritt gemacht und sich erneut gesichert. Doch trotz der Vorsicht holte ein Schwall Wasser den Bootsmann von den Beinen, gerade als er sich von der einen Luke gelöst hatte und zur nächsten wollte, so als habe die See den geeigneten Moment abgepasst. Das Wasser bildete Strudel um seine Beine, zog ihn von den Füßen und warf ihn gegen die Bordwand, und während die beiden dem wie leblos daliegenden Bootsmann noch eine Leine zuwarfen, schoss ein weiterer Schwall heran und hob den Körper über die Reling.
Der Kapitän ließ nicht beidrehen, es passte nicht in sein Kalkül, Zeit mit der Rettung des Bootsmanns zu verlieren. Statt dessen klaubte er ein paar trockene Worte zusammen, legte eine Trauerfeier für den folgenden Morgen fest und übertrug einem der älteren Matrosen die Aufgaben des Bootsmanns. Dann entließ er uns.
Am Abend unter der ermüdeten Sonne, die endlich die Wolken vertrieben hatte, tollten Delphine am Bug und prahlten mal wieder damit, schneller schwimmen zu können als das Schiff fuhr. Hin und wieder erhob sich eines der Tiere auf die Schwanzspitzen, um uns Zweibeiner nachzuäffen und keckernd vorzumachen, wie man auf dem Wasser läuft.