Glaubenssätze im Schützengraben - zur Lektüre von Ernst Jüngers »In Stahlgewittern«

Fritz Fuhrken: Granate trifft englischen Panzer in der Somme-Schlacht 1918 Leider ist es heutzutage notwendig, einen Blick auf das Denken und die Begrifflichkeiten von Reaktionären, oder, um es ins politische Spektrum zu rücken, von Rechten zu werfen. In der überschaubaren Ahnengalerie von Vertretern dieser Geisteshaltung taucht ein Name immer wieder auf: Ernst Jünger. Warum also nicht versuchen, durch die Lektüre von Jüngers bekanntestem Buch »In Stahlgewittern« etwas über das reaktionäre Denken zu erfahren.

Jüngers Erstling »In Stahlgewittern« erschien 1920, zwei Jahre nach Kriegsende. Ob Jünger literarische Ambitionen mit dem Buch verband, kann außen vor bleiben, wichtiger ist der Anspruch der Authentizität, den er dem Buch im Untertitel mitgibt: »Aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers«. Da Jünger den Text immer wieder überarbeitet hat - insgesamt sieben Mal, zuletzt 1978 im Alter von 83 Jahren - stellt sich unwillkürlich die Frage, wie viele Tagebuchversionen es wohl gegeben haben mag. Und inwieweit ist der Anspruch auf Authentizität glaubwürdig, wenn nationalistische Töne in den Auflagen der 20er Jahre erst hinein geschrieben und in den 30er Jahren wieder entfernt wurden? Das ist nicht polemisch gemeint, sondern kennzeichnet ein Grundproblem der »Stahlgewitter«: Jünger formuliert fortlaufend Behauptungen und Maximen, denen die geschilderten Handlungen selten entsprechen.

»In Stahlgewittern« dürfte vor allem dadurch motiviert sein, den vier Jahren in den Schützengräben der Westfront und dem reihenweisen Tod der Kameraden einen Sinn abzutrotzen. Regelmäßig das eigene Leben riskiert und fast täglich Verluste erlitten zu haben, soll nicht durch die gesichtslose Massenvernichtung zur Bedeutungslosigkeit degradiert werden. Dieses Thema bildet den roten Faden des Buches und Jünger greift es in unterschiedlichen Variationen immer wieder auf.

Obwohl es hier um ein Kriegstagebuch geht, spricht Jünger von sich selbst nicht als Soldat. Statt dessen wählt er das Wort »Krieger«, was im Zusammenhang des ersten Weltkriegs befremdlich und zunächst auch belustigend wirkt, weil es unwillkürlich das Bild wild bemalter Gestalten hervor ruft, die mit Äxten oder Schwertern auf einander los gehen. Aber Jünger verbindet mit seiner Wortwahl ein Programm: Im Verlauf des Buches bezeichnet er weder Freund noch Feind als Soldaten. Diese Vokabel dient ihm nur zur Typisierung (»der Frontsoldat«) oder zur Beschreibung größerer Gruppen. Die Einzelnen, ob Kameraden oder Gegner, sind dagegen »Kämpfer« oder eben »Krieger«. »Die Soldaten« wirken bei Jünger wie eine halt- und charakterlose Massenerscheinung, die im Zweifel Stellungen preisgibt (Kapitel »Regniéville«) oder gar die eigenen Toten plündert (Kapitel »Die große Schlacht«). Der Krieger sucht dagegen die Auseinandersetzung mit dem Feind, kann ruhmvoll kämpfen und sterben und mitunter auch zum Helden werden.

Wieviel der ruhmvollen Kriegertaten auf Heldenmut und wieviel davon auf Enthemmung durch Alkohol zurückzuführen ist, lässt sich nicht ausmachen. Jünger ist so ehrlich, den massiven Alkoholkonsum der Frontsoldaten nicht unter den Teppich zu kehren und auch das eigene Verhalten nicht zu beschönigen. Es wirkt fast so, als folge ausgerechnet er Erich Mühsams Sarkasmus:

»Sauft, Soldaten!
Daß das Blut 
heißer durch die Adern rinnt.
Saufen macht zum Sterben Mut.«

So führt Jünger vor dem nächtlichen Scharmützel mit einer englischen Kompanie erst einmal ein »Zwiegespräch mit einer Flasche Burgunder«, oder er erhält am Nachmittag Besuch von einem Leutnant mit einigen Flaschen unter dem Arm, von dem er sich dann um halb zwölf Uhr Nachts verabschiedet, um in der »fröhlichsten Stimmung über den Draht« zu klettern und auf Patrouille zu gehen. Diese Gelage können fast als Leitmotiv des Buches durchgehen, so häufig finden sie Erwähnung.

Jüngers Ehrlichkeit ist um so frappierender, weil er selbst in seinen Schilderungen als ein verantwortungsloser, wenn nicht gar unfähiger Offizier erscheint. An persönlichem Mut hat es Jünger nicht gemangelt, seine Orden können das wahrscheinlich bezeugen. Aber er verlor in Kampfhandlungen regelmäßig den Kopf, nicht aus Feigheit sondern weil er etwa vorpreschte, sich im feindlichen Grabensystem verlief und den Rückweg nur durch Zufall wiederfand. Seine Kopflosigkeit bezahlte mal ein Drittel, mal die Hälfte, mal mehr als die Hälfte seiner Leute mit dem Leben: »Von den vierzehn Mann, die mit mir ausgezogen waren, kamen nur vier zurück«. Schuld an dem Fehlschlag ist aber nicht Leutnant Jünger, sondern der Gegner, der die eigenen Gräben verlassen hat: »Hätten die Franzosen ihre Gräben verteidigt, wie mutige Soldaten zu tun pflegen, so wäre es wohl anders gekommen« (Kapitel »Regniéville«).

Jüngers Schilderung im Kapitel »Die Cambrai-Schlacht« führt die verschiedenen Phänomene des volltrunkenen Heldentums, der Kopflosigkeit und des Auseinanderklaffens von Anspruch und Realität vor. Zunächst lehnt Jünger den Befehl ab, eine Stunde vor dem allgemeinen Angriff um sieben Uhr morgens mit seiner Kompanie loszuziehen. Darauf folgt die Selbstbeweihräucherung »der kriegserfahrene Führer« könne »in solchen Fällen seiner Truppe viel unnützes Blut sparen«. Aber warum seine Weigerung angeblich Blutvergießen vermieden habe, wird nie geklärt. Stattdessen folgt ein Blutverlust sondergleichen. Zunächst läuft der Angriff gut: Der Kompanie fallen an die zweihundert Gefangene gewissermaßen in den Schoß und zum Frühstück kann man sich des Kognaks aus der eroberten englischen Stellung bedienen. Das wird allerdings unterbrochen durch einen von »Rauflust« beseelten Deutschen, den der Alkohol »zur Raserei« brachte. Der stürzt los und begeistert die übrigen Offiziere, »an dem improvisierten Sturm teilzunehmen«. Danach lautet Jüngers Resümee, »in diesem mörderischen Grabenstückchen« seien »sämtliche hervorragenden Unteroffiziere und ein Drittel meiner Kompagnie« verblutet. Wohlgemerkt: Nicht der Leutnant Jünger hat falsche Entscheidungen getroffen, sondern das Grabenstück war mörderisch. Am Ende des Tages muss er für seine Kompanie eine »Verlustziffer von 50 Prozent« konstatieren.

Die Möglichkeit, Fehlentscheidungen getroffen zu haben, spart Jünger nicht nur mit Blick auf die eigene Person geflissentlich aus. Auch die Vorgesetzten und die militärische Führung insgesamt werden nicht kritisiert. Als Frontoffizier flucht er zwar hin und wieder auf die Befehle, die aus der zweiten Reihe eintreffen, weil sie die Gegebenheiten vor Ort nicht berücksichtigen, aber er führt sie aus - meistens. Kritik übt er an Nebenerscheinungen wie der »inneren Organisation«, die ihn zwingt, seine Leute zu instruieren, »wie sie zu melden und die Hacken zusammenzuklappen hätten«, damit es bei einer Inspektion der Kompanie keinen Ärger gibt. »Der Krieg wurde bürokratisiert«, hält Jünger fest und das habe geschadet.

Bei Jüngers Unwillen, sich mit den Mängeln des Militärs auseinanderzusetzen, dürfte es sich um die andere Seite seiner Autoritätsgläubigkeit handeln. Und die erreicht ein besorgniserregendes Ausmaß: Wie üblich beginnt ein Großangriff mit stundenlangem Artilleriefeuer, bevor sich die Truppe in Bewegung setzt. In diesem Fall allerdings werden seine Leute durch die den Engländern zugedachten aber vom Wind zurückgetriebenen Gaswolken in Mitleidenschaft gezogen. Jünger beschwört daraufhin einen regelrechten Kinderglauben: Unmöglich könne die Führung eine Berechnung zum Schaden der eigenen Leute gemacht haben. (»Die große Schlacht«).

Franz Marc - Kämpfende Formen

»In der ganzen Meute wird man keinen Hund finden, der so verläßlich, einfach und ohne Gekläff seine Pflicht tut wie der Schäferhund.« Nein, diesen Satz gibt es bei Jünger nicht. Im Original steht da: »In der ganzen Armee wird man keinen Mann finden, der so verläßlich, einfach und ohne Phrase seine Pflicht tut wie der Niedersachse.« Durch den simplen Austausch wird das Stereotyp und damit auch die Herablassung deutlich, mit der Jünger (versetzt zu einem Niedersächsischen Füsilierregiment) seinen Untergebenen begegnet. Er stellt die Distanz zwischen sich und den Mannschaftsgraden durch Zuschreibungen her: »Der gewöhnliche Mann, der vollauf mit seiner persönlichen Gefahr beschäftigt ist,« bewundert »die scheinbar unbeteiligte Sachlichkeit des Führers«, der inmitten »des Gefechts die Ausführung seines Auftrages klar im Auge hat.« Jünger salbadert hier nicht nur, sondern seine Eitelkeit macht ihn geradezu blind. Denn für den »gewöhnlichen Mann« ist es sehr viel wahrscheinlicher, sich zu überlegen, wo er dem arroganten Offiziersschnösel sein Bajonett gerne hinschieben würde. Auf die Gemeinen eine Bewunderung ihres »Führers« zu projizieren, wirkt - auch im Licht der Aufstände nach Kriegsende - weltfremd. 

Bei dieser Distanz zwischen dem sich elitär wähnenden Jünger und seinen Untergebenen muss zwangsläufig die Frage offen bleiben, was die gewöhnlichen Männer von einem Offizier gedacht haben, der sich schon zum Auftakt des Buches die Frage stellt, was erhabener sein könne, als hundert Männern voranzuschreiten in den Tod. Aber zumindest kann das Erhabene zum Verständnis von Jüngers Denken und seinen Umgang mit Begriffen etwas beitragen.

Das Erhabene existiert nicht für sich. Es gilt, erst ein Phänomen oder ein Geschehen zu finden, dem man die Eigenschaft, erhaben zu sein, anheften kann. So wäre zum Beispiel die Bergwelt, das gewaltige Schauspiel der Natur, das den Betrachtern vergegenwärtige, wie unscheinbar sie selbst seien, herkömmlicherweise eine Möglichkeit, das Erhabene zu erleben. Es ist allerdings etwas unglücklich, dass dieses Erleben eher eine Form der Autosuggestion darstellt. Denn die Anmerkung, es sei besser diese öden Geröllhalden einzuebnen, weil sie eh nur die Sicht versperrten, zwingt in eine Auseinandersetzung, der das Erhabene nicht standhält. Damit das Erhabene überwältigend wirken kann, muss man sich daran berauschen können. Ein Widerspruch, der auf eine rationale Ebene führt, setzt dem Rausch und damit auch dem Erhabenen ein Ende. Es kann daher als sicher gelten, dass Jünger seine abstruse Phantasie, 100 Leute in den Tod zu führen, nie vor seiner Kompanie geäußert hat. Da hätte er sich wohl die Frage gefallen lassen müssen, ob es nicht viel erhebender wäre, wenn er alleine ginge.

Da das Erhabene nicht zu den Dingen gehört, sondern ihnen erst zugeschrieben werden muss, kann das auch willkürlich geschehen. So spricht Jünger am Ende des Kapitels »Guillemont« von erhabenen Werten, »die das deutsche Volk groß gemacht« hätten. Es können also nicht nur Handlungen oder ein Naturschauspiel sondern auch Werte erhaben sein. Unglücklicherweise klärt Jünger hier nicht, welche Werte das sein sollen. Ob er damit wirklich Verbissenheit und Disziplin meint, die er im selben Absatz den deutschen Soldaten zuschreibt, bleibt unklar.

Jünger verwendet gerne pathetische Formulierungen von erhabenen Werten, von gesteigerter Männlichkeit oder auch von der »Macht der Idee, die uns trieb« (nämlich trotz schlechter Verpflegung, s. »Die große Schlacht«). Da er aber nie Aufschluss gibt, was er unter diesen Begriffen versteht, und auch nie nahe legt, wie er sie verstanden haben möchte, gerät das Pathos zur hohlen Phrase. Und das um so mehr als das Beschriebene der Phrase regelmäßig widerspricht.

So beschreibt Jünger den Drill als notwendig, denn der Soldat »muss bis zum Stumpfsinn gehorchen lernen, damit seine Triebe auch in den schrecklichsten Momenten durch den geistigen Zwang des Führers gezügelt werden können«. Schon die theoretische Frage, wie der Führer inmitten des Lärms einer Schlacht geistigen Zwang ausüben würde, lässt Jüngers Behauptung zweifelhaft erscheinen. In seiner Schilderung liest es sich dann auch vollkommen anders. Denn um während der Schlacht seine zusammen geschmolzene Truppe zu verstärken, lässt er auf die deutschen, zurückweichenden Soldaten anlegen und schießen, um sie in die Reihen seiner Kompanie zu zwingen (Kapitel »Langemarck«).

Paul Nash - Spring in the trenches (Frühling in den Schützengräben)Am Ende wirken die dauernden Versuche, den »strahlenden, unauslöschlichen Ruhm dieser Kämpfer« zu behaupten, wie eine hysterische Realitätsverweigerung, deren Wortwahl - Ruhm, Ehre, Volk, Vaterland - zwanghaft immer hohler tönt, um die beleidigende Realität zu übertünchen. Denn die Geschehnisse - »Querschläger durch beide Beine«, »Schuß durch beide Backenknochen«, »zerschmettert ein Geschoß den Hinterkopf« - zeigen den Stellungskrieg als ein kampf- und ruhmloses Hocken im schlammigen Graben, das selbst den Toten keine Würde gestattet: Die Leichen waren »in Lagen übereinander geschichtet«. »Eine Kompagnie nach der anderen war dicht gedrängt im Trommelfeuer ausharrend vernichtet« (Kapitel »Guillemont«). Und unter Beschuss in einem Erdloch kauernd räumt Jünger das auch selbst ein, wenn er sich »einem unbarmherzigen, blinden Vernichtungswillen preisgegeben« fühlt und ahnt, dass seine Intelligenz und seine Fähigkeiten, seine »geistigen und körperlichen Vorzüge zur unbedeutenden, lächerlichen Sache geworden sind« (Kapitel »Langemarck«).

Jünger präsentiert eine erkenntnisresistente Wahrnehmung, die gar nicht auf die Idee kommt, das Gedachte durch das Erfahrene zu korrigieren. Als er zum Ende des Krieges »nach vier Jahren ehrenvoller härtester Kämpfe« ausgezeichnet mit dem höchsten zu vergebenden Orden, zurückkehrt, spricht er von einem »merkwürdigen Empfang« in der Heimat. Selbstzweifel befallen ihn deswegen nicht, auch wenn ein Großteil der Bevölkerung und der Soldaten den Krieg anders bewertet als er selbst. Statt dessen sieht er darin anscheinend eine Beleidigung, die er selbst mit einer Beleidigung beantwortet: »Il y a des cochons partout« (Schweine gibt es überall).

In der anderen Richtung, das Gedachte durch Erfahrenes zu bestätigen, funktioniert die Wahrnehmung dagegen. So flüchtet sich Jünger während eines Bombardements der Stadt Roeselare in den Keller seines Quartiers im Haus eines Tuchhändlers. Dort suchen auch die anderen Bewohner des Hauses Zuflucht: die Wirtschafterin, ihre Tochter und ein Mädchen. Die Bombenexplosionen erschrecken besonders das Kind und Jünger kommentiert: »Hier zeigte sich wieder, wie fest der Mensch mit seiner Heimat verwachsen ist. Trotz der gewaltigen Furcht, die diese Frauen vor der Gefahr hatten, klammerten sie sich fest an die Scholle, die jeden Augenblick zum Grabe werden konnte.« Die hier behauptete Heimatverbundenheit muss als selektive Wahrnehmung gelten, denn die eigentlichen Bewohner des Hauses sind bereits geflüchtet (Kapitel »Noch einmal Flandern«).

Das Geschehen und seine Einordnung hängen bei Jünger nicht zusammen. Er hegt eine Vorstellung davon, wie die Welt zu sein habe - der Untergebene bewundert den Führer; der Einzelne und sein Heldenmut sind auch in der Materialschlacht entscheidend; die Macht der Idee treibt an usw. Aber seine Phrasen empirisch zu überprüfen, kommt Jünger nicht in den Sinn, und so erhalten sie den Charakter von Glaubenssätzen.

Vielleicht hängt damit der Mangel an Einsichtsfähigkeit zusammen, der es ihm verwehrt, Fehler bei sich zu sehen und ihn statt dessen verleitet, die Schuld für die fatalen Konsequenzen seines Handelns, dem Gegner, dem Geschick oder dem »mörderischen Graben« zuzuschieben. Denn als Gläubiger, der die Glaubensinhalte hochhält, liegt er ja unfehlbar richtig.

Auch ein Mangel an Logik ist in dieser Weltsicht kein Problem: Wenn seine Leute »vielleicht zermalmt, nicht aber besiegt werden« können (Kapitel »Guillemont«), klingt das nicht nur wunderbar pathetisch, sondern es wechselt, als handele es sich um Satire, einfach ins Irreale und die Leser nehmen verwundert den Anspruch zur Kenntnis, zermalmt sei nicht besiegt. Irritierenderweise folgt zwei Kapitel später eine begriffliche Festlegung, »Kriegführen heißt, den Gegner durch rücksichtslose Kraftentfaltung zu vernichten suchen« (»Der Somme-Rückzug«), die dem Zermalmen eine Lanze zu brechen scheint. Die eigene Sicht der Dinge zumindest widerspruchsfrei zu halten, scheint Jünger kein Bedürfnis zu sein.

Zudem treibt er den Zwiespalt von Gedachtem und Erfahrenem häufiger bis hin zu Momenten grotesker Komik, etwa wenn er bieder und beflissen den Merksatz aufschreibt, während des Gefechts habe der Führer »die Ausführung seines Auftrages klar im Auge«, obwohl die Schilderungen drumherum vor allem nahe legen, er habe wegen ein paar Klarer einen im Auge (und handele deswegen kopflos). Der sich wiederholt einstellende Eindruck, mit dem widersprüchlichen Nebeneinander von Anspruch und Realität verfolge Jünger die Agenda, die reaktionäre Geisteshaltung zu desavouieren, lässt sich allerdings nicht festigen. Anflüge von Humor sind in den »Stahlgewittern« schwer auszumachen und insgesamt kann man dem Buch Ironieferne attestieren - es ist Jünger ernst.

Erleichtert wird diese Art des Denkens durch die wolkigen Begriffe, mit denen es hantiert, ihre Bedeutung wird nicht geklärt; vielleicht steht für Jünger außer Frage, wie Soldat und Krieger, Ehre und Ritterlichkeit, Volk und Vaterland zu verstehen sind. Wahrscheinlicher als das Vertrauen auf eine unzweifelhafte Bedeutung der Begriffe dürfte aber die Annahme sein, dass die Unschärfe der Begriffe es erleichtert, sie irgendwo anzubringen und so beliebigen Zusammenhängen Bedeutung zu verschaffen. Wenn der ›heldenhafte Krieger ein ehrenvolles Ende‹ findet, unterstützt er noch im Tod die erhabenen Werte - im Gegensatz zu einem ›Soldaten, der bei einem Gasangriff im Schlamm des Schützengrabens verreckt‹.

Im Verlauf der Lektüre fällt es nicht so auf, da sich verschiedene Blickwinkel einstellen: Jünger kann als eigenwilliger Kopf gelten mit seinem Versuch, die »Großen Taten« in große Worte zu kleiden und sie auf diese Weise zu überhöhen. Als Erzähler sammelt er keine Lorbeeren, da er bei seiner sensationsheischenden Darstellung des Kriegsgeschehens besonderen Wert auf die blutigen Details von Verwundungen legt. Vielleicht soll das schockieren, aber letztlich erreicht Jünger nur, was schlechte Journalisten bis heute auszeichnet: Eher die Sensation als die Nachricht hervor zu heben. Und Jüngers Beschreibungen erheitern, wenn er durch wegwerfende Kommentare zu den persönlichen Gefahren, denen er sich aussetzt, versucht, ein Selbstportrait als schneidiger Offizier zu zeichnen. Das ist aber nur die Ebene der Lektüre, die man mit einem freundlichen »wirr« abtun kann.

Der abstoßende Eindruck der »Stahlgewitter« stellt sich mit dem Zusammentragen der verschiedenen Beobachtungen ein: dem fehlenden Zusammenhang von beschriebenem Geschehen und der ständigen Phrasendrescherei, der selektiven Wahrnehmung, der Realitätsferne usw. Die »Großen Taten«, zu denen er die Kampfhandlungen in den »Stahlgewittern« stilisiert, sollen vor allem historische Einzigartigkeit herstellen: Die Geschichte wird anerkennen, »daß wir gekämpft haben wie nie ein Volk zuvor« (Kapitel »Am Cojeul-Bach«). Auf diese Weise beschwört Jünger nicht nur das Unvergleichliche oder eben das Erhabene, sondern er verschiebt die Bedeutungen: Nicht »wir Soldaten« haben gekämpft, sondern »wir das Volk«. Damit verlässt Jünger einmal mehr die Ebene der Realität, denn das Volk hat im Ersten Weltkrieg nicht gekämpft, das war tatsächlich noch Sache der Soldaten, und auch die »Schweine«, die es überall gibt, sind mit einem Mal aus dem Bild verschwunden. »In Stahlgewittern« demonstriert eine ganz grundsätzliche Verlogenheit, die nur die eigenen Wunsch- und Wahnvorstellungen kennt. Das Resultat ist ein einziges Stussgewitter.
 

 

Bildnachweis zu »Fritz Fuhrken: Granate trifft englischen Panzer in der Somme-Schlacht 1918«: Fritz Fuhrken, am 18.07.1943 verstorben.--Gliderass (Diskussion) 13:56, 3 February 2010 (UTC) [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)])