Lichtenstein veröffentlichte ab 1910 Gedichte und Prosa. Er dichtet von Varieté-Besuchen, von leichten Mädchen, von Trunkenheit und Homosexualität (»Zu der Geliebten sehnt sich eine Dame«) und macht dabei, wie sein Bruder im Geiste, Jakob van Hoddis, der Sprache Beine. Dabei entsteht zwar ein zeitgemäßes Portrait der Stadt (»Wie Schreibmaschinen klappen Droschkenhufe«), aber er gerät nicht nur durch die Wahl seiner Themen in Widerspruch zum Selbstbild der Gesellschaft.
Wenn Lichtenstein in »Winter« Bäume als schwarzgefrorene Flammen in die Landschaft stellt, dann kann man seiner Selbsteinschätzung »lyrisch« und »begrifflich« »wahr« zu schreiben[1] nur beipflichten. Neu ist: Der Vergleich entfällt – nicht »wie« schwarzgefrorne Flammen stehen die Bäume, sondern sie sind es – die subjektive Wahrnehmung rückt ins Zentrum. Doch obwohl diese Sprache keine Umstände macht, ist sie bis heute nicht gesellschaftsfähig oder wird ohne weiteres verstanden. Damit hatte auch Arno Schmidt, der als einer der letzten Vertreter des Expressionismus durchgehen kann, noch zu kämpfen.
Was einen intelligenten jungen Menschen zum Militär treibt, bleibt auch hundert Jahre später ein Rätsel.[2] Von Hurra-Patriotismus oder Kriegsbegeisterung ist bei Lichtenstein nichts zu lesen. Allenfalls vermittelt er eine Ahnung vom Überdruss am Leben eines Bohémiens. Er verpflichtete sich im Oktober 1913 für ein Jahr und verreckte acht Wochen nach Kriegsbeginn für Kaiser & Vaterland beim Schlachten an der Somme. Lichtenstein wurde 25 Jahre alt.
[1] s. Die Verse des Alfred Lichtenstein
[2] Nachtrag: Vermutlich war in der vom preussischen Militarismus verseuchten Gesellschaft des Kaiserreichs ein Offiziersrang der Karriere förderlich.