Else Lasker-Schüler - Meine Wunder

Else Lasker-Schüler - Meine Wunder Nicht nur verdient man mit Lyrik kein Geld, Verse gehören zudem zum am meisten Nicht-Gelesenen. Und wenn man, wie Else Lasker-Schüler, richtig Pech hat, landet ein Gedicht womöglich noch vor Gericht.

Laut Herwarth Walden, dem Herausgeber der Zeitschrift »Der Sturm«, der regelmäßig Arbeiten von Lasker-Schüler veröffentlichte. übernahmen Zeitungen häufiger Gedichte aus dem »Sturm«, um sich auf den eigenen Seiten darüber lustig zu machen. Das in »Meine Wunder« enthaltene »Leise sagen -« war eine der Zielscheiben und wurde von einer Hamburger Zeitung mit dem Kommentar »Vollständige Gehirnerweichung« abgedruckt.[1]

Walden bemühte sich, zumindest ein Honorar für den unerlaubten Nachdruck für seine Autorin zu erstreiten. Aber die Richter urteilten zunächst einmal über den literarischen Wert des Gedichts und meinten. »jedem gebildeten mit gesundem Menschenverstand und mit Empfänglichkeit für Poesie begabten Leser« müsse sich »ohne weiteres die Ueberzeugung von der Wertlosigkeit dieses Geistesproduktes aufdrängen«. Im besten Fall wollten die Richter dem Gedicht unfreiwillige Komik zugestehen und dafür müsse kein Honorar gezahlt werden.

Aus heutiger Sicht liefern die Richter eine Steilvorlage, um mal wieder Lichtenbergs Aphorismus hervor zu kramen: »Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?« Walden ging im Lichtenstein-Fall einen anderen Weg und legte die literarischen Vorstellungen der Kritiker durch deren Gegenbeispiel offen, in dem sich zum Thema Frühling »Glocken« auf »Frohlocken« reimen. Aber womöglich greifen diese Reaktionen zu kurz und da öffnet sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Zwiespalt zwischen Kunst und Publikum.

Dieser Riss soll von Worten wie »Avantgarde« eingefangen werden. In dieser Vorstellung eilen die Künstler (in der Rolle der visionären Genies usw.) dem Rest der Gesellschaft voraus. Und wenn die Gesellschaft dann folgt, bestaunt sie die Künstler (dieses Mal als wegweisende Gestalter usw.). Auf diese Weise wird dann auch die moralische Balance wieder hergestellt, wenn die Gesellschaft, wenn auch spät, den Künstlern die ihnen gebührende Anerkennung zollt. Und zur Feier des Tages schlagen dann auch die frohlockenden Glocken.

Hundert Jahre nach dem Erscheinen von »Meine Wunder« sieht es eher so aus. als sei der Graben zwischen Kunst und Publikum von Dauer. Der Name »Else Lasker-Schüler« mag vielleicht bekannter sein, weil Straßen, Plätze, Schulen nach ihr benannt sind. Aber ihre Texte wurden nie Allgemeingut und haben den engen Zirkel der Kunst nicht verlassen. Wenn Arno Schmidt mit seiner pessimistischen Schätzung, er erreiche mit seinen Texten Wurzel drei aus der Einwohnerzahl Deutschlands, recht hätte, befassten sich mit Else Lasker-Schüler heute womöglich gerade 40 Leser mehr als zu ihrer Zeit.

Die Texte sind mit der Ausgabe im Verlag der Weißen Bücher von 1914 abgeglichen. (Ein Scan des Buches aus dem Google Books Projekt ist bei der HathiTrust Digital Library zugänglich (über Proxy)).

Um das Buch auf dem Kindle zu lesen, muss das E-Book vom Standardformat EPUB ins proprietäre Amazon-Format AZW3 umgewandelt werden. Das frei erhältliche und ohnehin empfehlenswerte Programm Calibre kann neben vielem anderen auch das.

Eine gedruckte Ausgabe steht mit dem Bändchen der Insel-Bücherei zur Verfügung.

[1]s. »Der Sturm«, Jg, 3, Nummer 119-120, 27. Juli 1912, ein anderes Beispiel war Alfred Lichtensteins »Die Dämmerung«, das keine Gnade fand und unter anderem als »dämmerhaft« abgetan wurde, s. »Der Sturm«, Jg. 2, Nummer 59, 15. April 1911.[zurück]

Download E-Book

Online-Fassung

Quelldateien des E-Books